Schwerpunkt: Rehabilitationszentrum

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Bitte im Wartezimmer Platz nehmen…

Eindrücke aus dem Rehabilitationszentrum des Friedensdorfes

 

Es ist 9 Uhr morgens. Es ist still. Silvia steht im Warteraum und sortiert Kartenspiele, legt Malschablonen, Stifte und Papier zurecht. „Besonders die Schablonen sind beliebt“, weiß sie und auch, dass die Kinder sehr lebendig sind. Vor allem die Jungs. „Da muss man schon mal ein bisschen Löwenbändiger sein“, meint sie und schmunzelt. Doch von kleinen Raubtieren ist weit und breit nichts zu sehen und zu hören. Oder doch?

Durch das gekippte Fenster weht Stimmengewirr herein, das zunehmend lauter wird. Wenige Sekunden später betritt Sunnatbek den Raum, dann Ronaldo, dann Fatima und Sama und dann die restlichen 33 Kinder, die an diesem Tag einbestellt wurden. Augenblicklich ist die Stille verschwunden und die ehrenamtlichen Helferinnen Silvia und Dagmar haben alle Hände voll zu tun, das Tohuwabohu im Zaum zu halten.

So geht es jeden Morgen im Rehabilitationszentrum  des Friedensdorfes zu. Nach dem Frühstück machen sich kleine Prozessionen von Kindern unter der Führung der Mitarbeiter vom Speisesaal auf den Weg in den Verbandsraum. Hier werden Verbände und Pflaster gewechselt, Fixateure gereinigt, Spatelübungen (Foto oben) zur Verbesserung der Mundöffnung gemacht und Salben aufgetragen. Eben alles, was nach der Akutbehandlung im Krankenhaus noch zu tun ist, um die Rückkehr in die Heimat vorzubereiten.

Sensibilität ist gefragt

Bärbel (Foto oben mit Dr. Winter) ist gelernte Krankenschwester, koordiniert das Geschehen gemeinsam mit ihrer Kollegin Isabel im Verbandsraum und legt natürlich auch selbst Hand an.

„Komplexere Behandlungen können wir allerdings nicht machen, z.B. Röntgenaufnahmen oder Laboruntersuchungen“,

sagt sie. Dafür stehen Arztpraxen in der Umgebung zur Verfügung, die gerne helfen. Heute ist auch Dr. Winter  wieder da, der immer donnerstags ehrenamtlich im Friedensdorf aushilft und das seit vielen Jahren. Genauso wie Dr. Beckers und Dr. Biskup, die  wöchentlich ebenfalls ihr ärztliches Fachwissen zur Verfügung stellen.

Neben fachlicher Kenntnis ist im Rehabilitationszentrum allerdings noch etwas anderes gefragt, das nicht zu unterschätzen ist.

„Wir müssen sehr sensibel und rücksichtsvoll im Umgang mit den Kindern sein. Schließlich müssen wir Dinge tun, die nicht unbedingt angenehm, aber gleichzeitig sehr wichtig für ihre Genesung sind“,

betont Bärbel. Davon kann die kleine Clara aus Angola ein Lied singen und tut es auch tränenreich auf dem Arm einer Ehrenamtlichen. Sie versteht nicht, dass sie heute nur zur Kontrolle da ist und keine unangenehme Behandlung zu befürchten hat.

Das Rehabilitationszentrum im Oberhausener Friedensdorf ist der Ort, an dem besonders deutlich wird, weshalb die Kinder überhaupt in Deutschland sind, nämlich aus medizinischen Gründen. Während sie beim Spielen auf dem Dorfplatz und sogar noch im Warteraum des Rehabilitationszentrums eine ungeheure Lebensfreude und Unbekümmertheit ausstrahlen, kullern im Verbandsraum mitunter Tränen.
Tränen, die in vielen Fällen nicht geweint werden müssten, wenn ihre Heimatländer den Kindern eine frühzeitige und angemessene medizinische Versorgung ermöglichen könnten. Aus der einen oder anderen Bagatellverletzung müsste dann keine schmerzhafte Knochenentzündung werden und manch eine unzureichend behandelte Brandverletzung würde keine Funktions- und Bewegungseinschränkung ganzer Körperteile zur Folge haben.

Doch für solch trübsinnige Gedanken ist an einem Vormittag in der Reha – so kürzen es die Kinder selbst ab - wenig Zeit und Raum. Die Kinder halten alle auf Trab und die Zeit verfliegt. Bald schon hüpft Adriano als einer der letzten aus dem Verbandsraum. Sein rechter Unterschenkel erstrahlt in frischem Mullbinden-Weiß und er lächelt schon wieder schelmisch. Beim Verbandswechsel hat er die Zähne zusammengebissen und sogar selbst mitgeholfen, damit es schneller geht.

Auch Physiotherapie gehört dazu

Während sich der Verbandsraum gegen Mittag langsam lichtet, wird hinter einer anderen Tür mit der Aufschrift „KG“ noch fleißig geübt. Mit großer Geduld und Sorgfalt zeigt die japanische Mitarbeiterin Minori zwei Kindern ihre krankengymnastischen Übungen. Als Umid aus Usbekistan ins Friedensdorf kam, konnte er nur liegen. Nach einigen Operationen sitzt er heute aufrecht im Rollstuhl und übt gerade das Stehen und Gehen am Rollator. Gleichzeitig muss Vitali das Beugen und Strecken seiner Hand trainieren, die er bis vor kurzem aufgrund von Narbenkontrakturen kaum bewegen konnte. Bis zum Nachmittag wird Minori nacheinander weitere Kinder behandeln.

Organisatorisches mit „Dr. Buch“

Unterdessen läuft im Büro des Rehabilitationszentrums die Nachbereitung des Vormittags und die Vorbereitung der nächsten Tage. Genommene Proben werden zum Versand ins Labor fertiggemacht, die Behandlungsverläufe der Kinder genau dokumentiert. Wie gestaltet sich die Wundheilung, hat sich die Beweglichkeit eines Gelenks verbessert und verursacht die neue Orthese auch keine Druckstellen?

Welches Kind wann wieder zur Kontrolle erscheinen muss, plant Bärbel mithilfe von „Dr. Buch“ (Foto rechts). Ebenso welche Kinder für weitergehende Behandlungen zum Arzt gebracht werden müssen. Inzwischen gibt es ein eingespieltes Netzwerk von Ärzten fast aller Fachdisziplinen, Radiologie-Instituten, medizinischen Laboren, verschiedenen Apotheken, Sanitätshäusern und Orthopädiewerkstätten, die allesamt als Ratgeber und Unterstützer zur Seite stehen.

Bärbel hält auch die „organisatorischen“ Fäden in Bezug auf die Medikamentenbestellungen für die Kinder im Friedensdorf in der Hand. Der Bedarf wird an verschiedene Apotheken übersandt. Jetzt folgt ein Telefonat mit einem nahegelegenen Sanitätshaus.

„Wie immer, wenn das Friedensdorf anruft, ist es auch jetzt wieder eilig“,

eröffnet sie lachend das Gespräch. In zwei Tagen soll ein dreijähriges Mädchen aus dem Krankenhaus vorübergehend ins Friedensdorf entlassen werden, das einen Becken- und Beingips trägt und die nächsten Wochen liegend verbringen muss. Nach kurzer Zeit ist klar, dass das Sanitätshaus den benötigten Liegendbuggy zur Verfügung stellen wird. Erleichterung macht sich breit.

„Für die Kinder ist es gut, wenn sie möglichst viel Zeit hier im Friedensdorf in Gemeinschaft mit den anderen Kindern verbringen und nicht so lange im Krankenhaus liegen müssen. Gleichzeitig stellt das natürlich auch hohe Anforderungen an uns. In diesen Fällen sind wir froh, auf ein so gutes Netzwerk an Unterstützern zurückgreifen zu können, zumal uns die Sanitätsfachgeschäfte preislich sehr entgegenkommen“,

betont sie. Nicht nur die Zusammenarbeit mit externen Personen und Gesundheitsdienstleistern ist wichtig, auch die interne Kommunikation mit weiteren Friedensdorfabteilungen ist wesentlich. Jeden Tag erfolgt eine Übergabe zwischen Kollegen des Heimbereichs und des Rehazentrums, um über etwaige Vorfälle und Besonderheiten zu informieren.

Dauerhafte medikamentöse Versorgung

Übrigens geht die medizinische Einzelfallhilfe in einigen Fällen über die Behandlung in Deutschland hinaus. Das Friedensdorf sorgt, sofern benötigt, für eine medikamentöse oder orthopädische Dauerversorgung der heimgekehrten Mädchen und Jungen.

„Wir nehmen bei jedem Hilfseinsatz immer die sogenannten Dauermedis für ehemalige Patienten mit, die sie in Begleitung ihrer Familien dann selbst abholen. Auf diese Weise gibt es schöne Wiedersehensmomente und wir können gleichzeitig erfahren, wie es den Kindern nach ihrer Rückkehr ergeht“,

schildert Maria ihre Erfahrungen, die sie im Rahmen vieler Hilfseinsätze gesammelt hat.

Beispielsweise ist da Esat aus Afghanistan. Der heute 33Jährige war 1993 im Friedensdorf und wurde in einem deutschen Krankenhaus wegen einer Fehlstellung seiner Beine und urologischen Problemen behandelt. Bis heute holt er regelmäßig bei jedem Hilfseinsatz seine Medikamente ab. Auch Suzanna aus Angola wird seit 2003 medikamentös weiterversorgt. Die heute 16 Jährige kam wegen schwerer Knochenentzündungen in Armen und Beinen nach Deutschland. Ihr Zustand verschlimmerte sich zwischenzeitlich so sehr, dass die Ärzte ihre Überlebenschancen schwinden sahen. Heute kann Suzanna sich selbst fortbewegen und besucht sogar eine Schule. Bei den halbjährlichen Hilfseinsätzen in Angola kann  sich das Einsatzteam von ihren Erfolgen überzeugen und ihr die benötigten „Medis“ aushändigen. Medikamente, die zuvor von der Dinslakener Zentralstelle aus bestellt, dann tage- und wochenlang im Oberhausener Friedensdorf-Rehazentrum sorgfältig in Kartons gepackt und schließlich mit auf den Charterflug gegeben wurden (Foto oben).

Dass dies jedes Jahr aufs Neue möglich ist, dafür dankt das Friedensdorf allen Unterstützern und Förderern.

Lesen Sie hier ein Kurz-Interview mit Dr. Winter.

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