Zunehmende Herausforderung
Die schwierige Suche nach Krankenhausfreibetten
Das 50. Bestehen war für das Friedensdorf kein Grund zu jubilieren. Es war eher ein Anlass, um inne zu halten, nachzudenken, zu resümieren und Weichen für die Zukunft zu stellen.
So traurig es ist, dass es die Einzelfallhilfe nach einem halben Jahrhundert noch geben muss, so wichtig ist die Existenz des Friedensdorfes für kranke und verletzte Kinder in Kriegs- und Krisengebieten. Das bestätigt sich auf jedem einzelnen Hilfseinsatz in den unterschiedlichen Partnerländern und vor allem bei der Begegnung mit ehemaligen Friedensdorf-Schützlingen.
Grenzen der Hilfe
Leider sind dieser Hilfe jedoch Grenzen gesetzt – nicht nur im Ausland, sondern zunehmend auch bei uns in Deutschland. Bundesweit sinkt die Möglichkeit der Krankenhäuser Kindern aus Kriegs- und Krisengebieten eine kostenlose Behandlung zu schenken. Die Gründe für den Freibettenmangel sind vielfältig: erhöhter Kostendruck in den Krankenhäusern, Personalmangel, verschärfte Hygienebestimmungen, zunehmende Spezialisierung der Fachgebiete und Zusammenlegungen von Kliniken zu Verbundkrankenhäusern. Auch verringert sich die Verweildauer der Kinder in den Krankenhäusern stetig, was für das Friedensdorf einen entsprechend höheren pflegerischen und postoperativen Aufwand in der Oberhausener Heim- und Pflegeeinrichtung bedeutet.
Die so genannten „Freibetten“ sind jedoch Voraussetzung dafür, dass im Rahmen der medizinischen Einzelfallhilfe überhaupt Kindern geholfen werden kann: Denn ohne eine Behandlungsoption in den Krankenhäusern kann Friedensdorf International kein Kind nach Deutschland holen. Aus Spenden wäre die oftmals komplexe Behandlung selbst von einem einzelnen Kind kaum zu finanzieren und erst recht nicht von einigen hundert Kindern pro Jahr, wie es in den letzten Jahrzehnten noch möglich war.
Daher möchten wir uns dieser Herausforderung der „Freibetten-Akquise“ im aktuellen Schwerpunktthema widmen und hoffen auch über diesen Weg den einen oder anderen Arzt, einen verantwortlichen Mitarbeiter des Pflegedienstes oder Verwaltungsdirektor eines Krankenhauses zu erreichen und zu überzeugen, zumindest einem Kind oder zwei Kindern im Jahr, die Chance auf eine bessere und gesündere Zukunft zu schenken.
Weitere kompakte Informationen finden Sie auch in dem Krankenhaus Flyer der im August 2017 erscheint. Dieser kann jederzeit und auch in größerer Stückzahl über die Mailadresse krankenhaus@friedensdorf.de angefordert werden.
Erfahrungen der letzten Einsätze im Jahr 2017
Der vergangene Angola Hilfseinsatz zeigte deutlich, wie sich die Situation zunehmend verschärfte: Betten für eine kostenlose Behandlung der Friedensdorf-Schützlinge zu bekommen, war nie einfach. Aber die Lage spitzt sich dramatisch zu, denn trotz schriftlicher Zusage sagte beispielsweise ein Klinikpartner die versprochenen Plätze am Vorabend der Landung ab. Das traf ausgerechnet jene beiden Kinder, die die Hilfe mit am dringendsten nötig hatten.
„Bisher sind wir eigentlich immer mit dem positiven Gefühl nach Angola geflogen, dass wir Hilfe und Hoffnung bringen können“, sagte Kevin Dahlbruch vom Einsatzteam. „Diesmal aber hatten wir von vornherein ein mulmiges Gefühl. Wir wussten, dass wir nicht alle wartenden Kinder mitnehmen können, dass wir Hilfe verwehren müssen. Das war für mich, für uns alle, sehr schwer.“
Seine Teamkollegin Maria Tinnefeld, die viele der 61 Einsätze geflogen ist, ergänzt:
„Die Situation in Angola wird immer schlechter. Wir könnten zig Flugzeuge mit eindeutig bedürftigen Kindern füllen – tatsächlich hatten wir dann nur für gerade mal 45 Patienten Betten.“
Die fehlenden Klinikbetten sind nur eine Facette des Problems. „Die Anforderungen auf deutscher Seite werden immer höher und scheitern an der Realität in Angola. Es ist einfach nicht möglich, immer alle geforderten Informationen zu bekommen. Ein großes Blutbild, Abstriche, selbst ein ausführlicher Arztbrief ist von den meisten Familien im Vorfeld nicht zu beschaffen, geschweige denn zu bezahlen.“
Drei Monate nach einem Angola-Charterflug steht in der Regel der nächste Afghanistan-Einsatz im Friedensdorf-Kalender. Doch neben der Tatsache, dass die deutsche Botschaft in Kabul seit dem Anschlag im Mai 2017 geschlossen hat und somit vor Ort keine Visa für die Kinder ausgestellt werden können, war auch der Freibettennotstand ein wesentlicher Grund, warum wir uns für den August 2017 gegen das chartern eines Flugzeuges entscheiden mussten. Die hohen Kosten, die aus Spenden aufgebracht werden, sind nicht zu rechtfertigen, wenn nur eine kleine Kindergruppe – aus den Nachbarländern Afghanistans – neu aufgenommen werden kann. Somit wird der anstehende August-Hilfseinsatz mit größerem logistischen Aufwand über Linienflüge durchgeführt werden müssen, um Kinder aus Tadschikistan, Usbekistan, Kirgistan, Afghanistan und dem Kaukasus nach Hause zu bringen und in leider geringerem Umfang und ohne Berücksichtigung neuer afghanischer verletzter Kinder zur medizinischen Behandlung nach Deutschland zu holen.
In den nächsten Monaten werden wir Alternativen zur Visaerteilung mit dem Auswärtigen Amt erörtern und alles daran setzen, dass der Hilfseinsatz für Afghanistan wieder in gewohnter Form in Februar 2018 durchgeführt werden kann.
Behandlungen der Kinder als
„win-win Situation“ für beide Seiten
„Die Motivationen, dass uns Kliniken unterstützen sind sehr unterschiedlich“ so resümiert Friedensdorf-Leiter Thomas Jacobs. „Die meisten Klinken behandeln unsere Schützlinge aus christlichen oder humanitären Grundwerten. Dabei sind die Krankheitsbilder unserer kleinen Patienten sehr unterschiedlich und vielfältig.“
Manchmal verfügen Häuser über einen eigenen Spendentopf oder eine Stiftung für humanitäres Engagement, welche die anfallenden Sachkosten decken können, während Ärzte ehrenamtlich operieren. Erfahrungsgemäß regt die Unterstützung eines Krankenhauses oftmals weitere Akteure zur Mithilfe an: Labore führen Blutuntersuchungen mitunter kostenlos durch, der örtliche Orthopädiemechaniker ist vielleicht bereit, eine Schiene anzufertigen oder Gehhilfen zur Verfügung zu stellen.
Das Friedensdorf stellt für alle Beteiligten selbstverständlich gerne gegen proforma-Rechnungen finanzamtlich anerkannte Spendenquittungen aus.
Dr. Tobias Bexten, ehemaliger Zivildienstleistender und heute tätig als Chirurg im Frankfurter Raum, fasst seine Eindrücke, die er im Zuge der zahlreichen Hilfseinsätze gewonnen hat, mit eindringlichen Worten zusammen:
"Jedes Kind, jeder medizinische Aufnahmegrund unserer Schützlinge ist einmalig. Jedes Kind, jede Krankheit unserer Schützlinge hat eine Geschichte, teils banal, teils an Dramatik, Trauer und Wut nicht zu überbieten.
Es gilt für jedes Kind jedoch ein gemeinsamen Nenner: In ihren Heimatländern haben sie keine Chance auf Heilung. Viele unserer Kinder haben bereits eine medizinische Odyssee hinter sich. Einheimische Kollegen versuchen ihr bestes, häufig sind ihnen jedoch durch einen eklatanten Mangel an allem Notwendigen, im wahrsten Sinne des Wortes, die Hände gebunden. Hinzu kommen zum Teil schlimme hygienische Verhältnisse zuhause und ein durch Mangelernährung gezeichnetes Immunsystem der Kinder.
Für mich als Arzt, Friedensdorf-Mitarbeiter und Chirurg liegt der Reiz der Betreuung dieser Kinder darin, dass, so unterschiedlich die Verletzungen und Krankheiten sind, jedes Kind ein vollkommen individuelles Therapiekonzept benötigt. Bei dem einen sechsjährigen Jungen aus Afghanistan reicht eventuell eine Jet Lavage, eine Antibiotikakette und gutes Essen, bei dem nächsten 10 jährigen Mädchen aus Gambia muss ein Ersatz für die Tibia gefunden werden. Jeder einzelne Fall könnte ohne weiteres einen Fachvortrag füllen. Und dennoch ist das schönste und wichtigste an unserem Dienst:
Alle Kinder fliegen nach Hause zu ihren Familien und haben eine Chance auf eine Zukunft. Und ich bin überzeugt, dass alle Kinder die in Deutschland zur medizinischen Versorgung waren, diese Chance begreifen, verinnerlichen und ergreifen."
Kindern eine Zukunft geben
Begegnungen mit ehemaligen Schützlingen – und ein vielfaches Dankeschön an Ärzte und Pflegepersonal
Die Begegnungen mit ehemaligen Friedensdorf-Patienten während des letzten Hilfseinsatzes im Mai 2017 führte allen Beteiligten nochmals deutlich vor Augen, welche Zukunftschancen die Kinder durch die Hilfe aus Deutschland erhalten: Eine Gruppe ehemaliger Jungen und Mädchen engagiert sich seit ihrer Rückkehr nach Angola ehrenamtlich bei der Partnerorganisation – sofern es natürlich die Schule und die Ausbildung zulässt. „Wir sind die beste Friedensdorf-Familie in Angola“ so beschreiben sie sich selbst.
Täglich waren diese Ehemaligen vor Ort, um von morgens bis abends zu helfen – so lange, wie die Kindervorstellung, das Aufräumen, Tränen trocknen oder Müll einsammeln eben dauerte. Dabei haben sie den neuen Kindern viel Angst nehmen können, indem sie vieles aus Deutschland erklärt haben: warum Stuhlproben wichtig sind oder warum Krankengymnastik die Behandlung schneller fortschreiten lässt. Liebevoll haben sie bei der Trennung der Kinder von den Eltern kurzzeitig verzweifelte Tränen getrocknet oder den Kindern beim schmerzhaften Verbandswechsel Mut gemacht. Da hieß es auch mal:
„Ich weiß genau wie weh das tut, aber glaub mir, in Deutschland geht es dir ganz schnell besser“.
Wie sehr die Behandlung in Europa die Zukunft dieser Kinder beeinflusst und alle Ärzte, Krankenschwestern und ehrenamtlichen Besucher ein Leben lang eine wichtige und bedeutsame Rolle spielen, erfahren die Einsatzteams bei jedem Hilfsflug. Auch Jahre nach der Heimkehr hört man noch anerkennende Dankesworte für die Krankenhäuser.
Pläne zum Jahreswechsel:
OP-Bereich im Friedensdorf ab 2018
Nach zahlreichen Experten-Gesprächen und Berechnungen hat das Friedensdorf sich entschieden, zusätzlich zur Freibetten-Akquise selbst aktiv zu werden, was die Behandlungsoptionen anbelangt. Ein eigener Operationsbereich im Rahmen einer Tagesklinik soll in der Heim- und Pflegeeinrichtung in Oberhausen entstehen.
Bereits in den 1970er Jahren wurden in dem alten Rehabilitationsgebäude des Friedensdorfes Operationen durchgeführt. Nach einem Neubau sind als erster Schritt nun zukünftig in erster Linie handchirurgische und orthopädische Eingriffe geplant. Für schwere Operationen, die aufwendige stationäre Versorgung erfordern, ist das Friedensdorf aber weiterhin auf die Kooperation mit Krankenhäusern angewiesen.
Großer Bedarf an unterschiedlichen Fachbereichen
Es müssen nicht zwangsläufig Pädiatrien oder Spezialkliniken sein, in denen die Friedensdorf-Schützlinge behandelt werden. Zahlreiche – mit dem Friedensdorf kooperierende – Krankenhäuser mit Grundversorgung behandeln die kleinen Patienten auch auf den Erwachsenenstationen. Bei etwaigen medizinischen Problemen vermitteln die Mitarbeiter der Friedensdorf-Krankenhausabteilung gerne Kontakte zu anderen Spezialisten oder kümmern sich um Verlegungen. Folgende Fachabteilungen für eine Freibehandlung werden gesucht, die uns unterstützen:
- Unfallchirurgie (Osteomyelitis, Hämatogen oder als Zustand nach beispielsweise einer Fraktur)
- Urologie (Hypospadie, Epispadie, Hydronephrose, Stenosen von Harnleiter, oder /-röhre, Blasenekstrophien)
- Kinderchirurgie (Speiseröhrenverletzungen, Morbus Hirschsprung etc)
- Plastische u. Handchirurgie (Narbenkontrakturen nach Verbrennungen)
- Orthopädie (Fehlstellungen der Extremitäten)
- Pädiatrie
- Neurochirurgie
Wichtig zu wissen!
Um den Transport bei Aufnahmen, Entlassungen oder ambulanten Wiedervorstellungen im Krankenhaus kümmert sich ein Friedendorf-eigener Fahrdienst.
Bundesweit unterstützen uns ca. 250 – 300 ehrenamtlich tätige und von uns geschulte HelferInnen. In manchen Städten sind es Einzelkämpfer und in anderen ganze Betreuergruppen. Manchmal gibt es in einer Stadt auch keine ehrenamtlichen Betreuer, was wir selbstverständlich versuchen zu verändern.
Voraussetzung hier ist nach Vorgabe des Landesjugendamtes des Landschaftsverbands Rheinland die Teilnahme an einem Seminar. Aktuelle Termine finden Sie hier.
Die Aufnahme eines Friedensdorf-Kindes bedeutet aber – das wollen wir gar nicht verheimlichen - trotzdem einen erhöhten Arbeitsaufwand für das Pflegepersonal. Schnell werden aber alle Beteiligten merken, dass unsere Schützlinge in der Regel sehr dankbare Patienten sind und den Alltag auf der Station bereichern. Oft hören wir bewegende Geschichten, dass die Kinder im Rahmen ihrer Möglichkeit sogar selber helfen möchten, zum Beispiel bei der Verteilung des Essens. Natürlich gibt es auch mal Probleme sprachlicher Natur, bei postoperativen Schmerzen, oder wenn eine Isolierung notwendig ist.
Nach der Rückführung der Patienten ins Heimatland sind unsere vor Ort ansässigen Partnerorganisationen ausschließliche Kommunikationsschnittstelle zwischen dem Kind und Friedensdorf International. Daher haben wir die Möglichkeit, bei unseren nächsten Besuchen im Land aktuelle Informationen oder eine bildgebende Diagnostik mitzubringen. Sollte eine Folgebehandlung notwendig sein, prüfen wir eine Wiederaufnahme.
Die Verpflichtung einer lebenslangen Medikation oder Nachsorge seitens des kooperierenden Krankenhauses setzen wir selbstverständlich nicht voraus. Wenn Kinder poststationär mit Medikamenten versorgt werden müssen, erhalten sie diese von uns, je nach Bedarf sogar lebenslang.
Natürlich halten wir auch das Klinikpersonal soweit wie möglich über die weitere Entwicklung ihrer ehemaligen Friedensdorf-Patienten auf dem Laufenden.
Helfen Sie mit, kranken und verletzten Kindern eine Zukunft zu geben!
Wir danken von Herzen allen bereits kooperierenden Häusern!
Weitere Details finden Sie hier in unseren Informationen für Kliniken.
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