Schwerpunkt: Der Alltag der Kinder

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Solidarität und Hilfsbereitschaft prägen das Leben

 
 
Kinderstimmen, temperamentvolle Rufe, portugiesische Musik: All das dringt vom Dorfplatz des Friedensdorfes durch gekippte Fenster ins Büro der Friedensdorf-Heimleitung zu Nathalie Vienken und Carmen Pizzini.

„Macaco, Bella und sogar Bruder Jakob gehören hier zum Alltag“, sagt die die 30-jährige Pizzini. Es sind Lieder in asiatischen Sprachen, auf Portugiesisch oder in anderen Muttersprachen  der Kinder, die sie singen und zu denen manche tanzen.  Im  ,Dorf´ sorgen Vienken, Pizzini, ihre Kolleginnen und ehrenamtliche Freunde  für die Begleitung von täglich über 150 Kindern aus Asien und Afrika.Ihre Musik aus der Heimat und Bewegung vermitteln Lebensfreude. 

Zwischen den fünf Wohnhäusern im Herzen des Friedensdorfes schieben Kinder zugleich schwung- und liebevoll andere im Rollstuhl zum Spielplatz sowie ins Reha-Zentrum. Der Solidargedanke und die Hilfsbereitschaft der Kinder untereinander sind stark ausgeprägt.

Zwischen Wohnhaus und Reha:
Freundinnen und Freunde helfen im Alltag

Friedensdorf-Besuchern fällt auf, dass hier trotz schwerer Verletzungen oder Krankheiten keine resignierten Kinder leben. Es sind Zwei- bis Zwölfjährige, die – egal ob beim Spiel und Sport oder dem manchmal schmerzhaften Wundverbandswechsel – füreinander da sind. „Im Rehazentrum gehört zum Kinder-Alltag, dass sie merken, wenn Freundinnen oder Freunde Angst haben und dann sofort tröstend zu ihnen stehen“, sagt einer der ehrenamtlich in der „Reha“ tätigen Ärzte. ,,Diese Solidarität ist eine erste gute Voraussetzung für die weitere Genesung der schwerkranken oder kriegsverletzten Kinder“, ergänzt er.

Bärbel Arens, erfahrene Krankenschwester und Verantwortliche der Friedensdorf-„Reha“, nennt eine weitere Voraussetzung für die Gesundung im Friedensdorf nach überstan-denen OPs: „Im Kern des Lebens im ,Dorf´ muss Genesung, müssen Arztbesuche, Reha-Übungen und die Gymnastik stehen.“ Darüber hinaus zählt gegenseitige Achtung und dass das Friedensdorf die vorhandene Selbstständigkeit der Kinder größtmöglich fördert und erhalten will. Heim- und Reha-Verantwortliche erzählen, wie eigenständig die Kinder sind: „Wo es um die eigene Gesundheit geht, werden  ,unsere´ Kinder mehr und mehr Fachleute.“  In eigener Sache seien sie achtsam und  „fast schon wie kleine Ärzte“.  

Wie überall beginnen der Friedensdorf-Alltag morgens und der Tageslauf der Zwei- bis Zwölfjährigen mit dem Waschen, Zähneputzen und Anziehen. „Das gilt unabhängig von allen körperlichen Handicaps“, sagen Pizzini und Vienken.  Natürlich helfen ihre Kolleginnen den Kindern dabei entsprechend ihrer körperlichen Einschrän-

kungen, wo das notwendig ist. Nach dem Frühstück folgen für alle Friedensdorf-Schützlinge fast täglich die Behandlungen „in der Reha“.

Anziehen, Arztbesuche, Abwechslung beim Spiel

Schon im Warte- und Spielraum des Rehazentrums riecht es ein wenig nach Sterilium. Desinfektion ist hier ein A und O. Aber gerade im Warteraum zählt jederlei Abwechslung. Mit Wahida, Danish und Osvalda aus Usbekistan, Afghanistan und Angola legen die ehrenamtlichen Helferinnen Dagmar Kathage (52) und die Rentnerin Silvia Falbe gerade Holzdrei-

ecke und andere Formen kreativ zusammen. Mit den kleinen Patienten lesen die Frauen zum Beispiel einfache Tiergeschichten.Viel Zeit bleibt nicht, weil immer wieder ein anderes Kind zu einer Behandlung herausgerufen wird. „Deshalb bauen wir hier auch nicht mit Lego oder Playmobil“, erzählt Dagmar. Sie weiß: In maximal zehn Minuten muss Osvalda zum Arzt, Wahida zur Fixateur-Reinigung oder ein anderes Kind zur Physiotherapie. Bei täglich allein 70 bis 100 neuen Verbänden sowie vielen physiotherapeutischen Übungen ist Kinder-Alltag hier professionell getaktet und gut organisiert.

 

Wahida, Osvalda und Danish sehen sich zwei Stunden später mit über 150 Kindern im Speiseraum am Dorfplatz wieder. Es gibt Nudeln mit Bolognesesauce und  Salat, ein Lieblingsessen der lebendig brabbelnden Kinder aus Usbekistan, Tadschikistan, Afghanistan, dem Kaukasus, Gambia, Angola und aus anderen Ländern. Bevor alle ihre Teller leeren, ist eine Gewohnheit mehr als nur ein gutes Ritual.

Mittagessen und viel Power rund um den Dorfplatz

Im täglichen Wechsel ruft immer ein Kind mal „tinschlik“ (usbekisch für Frieden), tags später ein anderes „paz“ (portugiesisch), jeweils in seiner Muttersprache. Dann reichen sich alle zu einem lauten und frohen „FRIEDEN“ auf Deutsch die Hände. Das Essen schmeckt.

Frieden leben die Kinder vieler Nationen auch in Gemeinschaft und gegenseitiger Achtsamkeit. Das zählt auch nachmittags, wenn die Spielzeugausgabe – oder vielleicht das Singen, Lesen oder Tanzen im Lernhaus – folgt. Solche Erfahrungen des friedlichen Zusammenseins, werden Kinder später aus ihren Friedensdorf-Monaten mit nach Hause nehmen. Sie haben gelernt, Konflikte mit reden zu lösen, auch wenn es vereinzelt – wie bei allen Kindern weltweit – mal zu handfesten Auseinandersetzungen kommt.

Regelmäßig kommen auch Jugendliche  in die Begegnungsstätte des Friedensdorf-Bildungswerks an der Rua Hiroshima. Sie stehen im direkten Austausch mit Friedensdorf-Kindern und erfahren im

Seminar  viel  über das Leben in Heimatländern der Kinder, mit ihnen basteln oder kochen sie auch. Für gute gemeinsame Erlebnisse sind solche Begegnungen und die Sprache wichtig.

,,Friedensdorf-Deutsch" und viele Begegnungen

Carmen Pizzini schmunzelt ein wenig, als sie darüber spricht:  „Kinder-Umgangs- und Alltagssprache ist das verständliche, aber auch mit Vokabeln aus Heimatländern anderer Kinder verknüpfte ,Friedensdorf-Deutsch´.“ Verständigung haben alle zuerst mit der auch im Heimatland gebrauchten Zeichensprache gelernt, in Deutschland zudem

anhand bebilderter deutscher Bücher.  Ihr Deutsch lernten sie irgendwann  und auch sehr schnell dann  untereinander und auf dem Dorfplatz. Für Gehhilfen etwa brauchen fast alle Kinder  das portugiesische „Muletas“.

Ein Blick zurück: Ehrenamtliche und Pflegerinnen halfen in Krankenhäusern

Wichtig war Sprechen für die kleinen Patientinnen und Patienten gerade während ihrer Krankenhaus-Zeit, wo Pflegerinnen und auch Friedensdorf-Ehrenamtliche sie begleiteten. Eine der Krankenhausbegleiterinnen ist Birgit Plambeck-Rätz aus Oldenburg, seit 1997 im Bereich der heutigen Oldenburger-Koordinationsstelle für Norddeutschland aktiv. „Im Krankenhaus sollen unsere Schützlinge bei Besuchen  für ein paar Stunden am Tag vergessen, dass sie krank sind“, begründet sie ihr Engagement. Wenn das klappt, sei eine solche Begegnung für die Kinder wie für die Begleiter ein tolles Gefühl.

Wenn nach vielen Krankenhaus-Wochen und der Zeit im Friedensdorf für die Kinder der Abschied ansteht, geht es für die Dorfbewohner und die Heimkehrer beim großen Abschiedsfest richtig rund.  „Natürlich freuen sich alle Kinder bei uns riesig, wenn sie nach dem letzten Arztbesuch  erfahren haben, dass ihr Heimflug bevorsteht“, sagt Bärbel Arens. „Dieser Abschieds-Nachmittag ist alles andere als alltäglich“, ergänzen zwei ehrenamtliche Krankenhaus-Begleiter. Eigens für die ihnen vor Monaten anvertrauten Kinder sind sie aus der Eifel und aus Rotenburg nahe Bremen nach Oberhausen gereist.

Abschied: Was zählt, ist die Zukunft in der Heimat der Kinder

 „Verbindungen und vor allem Erinnerungen bleiben“, bestätigen sie. „Letztlich aber leben die, um die wir uns damals gesorgt haben, jetzt von der Vorfreude auf die neue Zukunft mit ihren Familien.“ Das fast dreistündige, lange her-

beigesehnte Fest bietet vor knapp 200 Kindern ein buntes Programm. Friedensdorf-Kinder, Rückkehrer, Praktikanten und Mitarbeiter haben es mit Sport-, Spaß-, Musik- und Showbeiträgen gestaltet.

Fällt den Wohnhaus- und Gruppenverantwortlichen vom Friedensdorf-Heimbereich manch ein Abschied schwer? Nathalie Vienken und Carmen Pizzini bejahen das. „Alltags-situationen, die wir alle mit den Kindern gemeistert und durchkämpft haben, schaffen Bindungen“, sagt Vienken. „Aber Gott sei Dank haben die Kinder bei uns in einer Art Großfamilie gelebt“, ergänzt sie. Einig ist sie sich mit ihrer Kollegin Carmen Pizzini darin, für Begleiterinnen und Kinder sei dabei ein „gesundes Verhältnis von Nähe, aber auch Distanz“ entscheidend. Pizzini: „Letztlich müssen wir  im Alltag hier immer an die Gesundheit der Kinder und an einen guten Start in ihren Alltag zu Hause denken.“

So handelt das Friedensdorf auch nach einer Maxime. Leiter Thomas Jacobs formuliert das so: „Es ist für uns wichtig, dass wir ,Friedensdorf-Kinder´ bald gesund und mit einem guten Gefühl, aber auch verantwortbar an ihre Eltern zurückgeben können.“ Schließlich hat FRIEDENSDORF INTERNATIONAL das den Eltern versprochen und vertraglich zugesichert. Thomas Jacobs: „Dieses Versprechen hilft den Kindern, ihr Leben in Angola, Usbekistan oder anderswo gesund und mit neuer Kraft anzugehen.“

Fotos: Jens Braune del Angel, Martin Büttner, Friedensdorf International, Uli Preuss, Jakob Studnar und Roland Weihrauch

2 Responses

  1. Maria Sowa
    | Antworten

    Danke für diesen Bericht und die Fotos, ein kleines Licht der Menschlichkeit in dieser Zeit der Bedrohung und des Hasses.

  2. Kerstin Tenschert
    | Antworten

    Ich verfolge die Arbeit des Friedensdorfes schon seid längerem. Ich kann nur den Hut ziehen vor dieser tollen Einrichtung. Sie schenken den Kindern zum Teil ein zweites Mal einen Neuanfang ihres kurzen Lebens.

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