Erinnerungen einer Zeitzeugin
Knapp eine Woche vor den Europawahlen fand eine ganz besondere Veranstaltung in der Friedensdorf Begegnungsstätte statt: Maria Sowa, die zwischen 1976 und 1986 Chefsekretärin im Friedensdorf war, erzählte ein Stück ihrer Familiengeschichte und schilderte ihre Erinnerungen an den zweiten Weltkrieg, die sie als junges Mädchen persönlich erlebte. Gespannt und sichtlich bewegt lauschte das Publikum wie Maria Sowa’s Mutter an grölenden SA-Männern vorbei in ein demoliertes jüdisches Kaufhaus eintrat, um ein Staubtuch zu kaufen. Sie erzählte auch von der Kinderlandverschickung nach Tschechien und dem anschließenden Rücktransport nach Deutschland, wo auch Frauen, Kinder und Jugendliche unter Beschuss kamen und sie „die lachenden Gesichter der Flieger, die ihre Maschinengewehre in die flüchtenden Kindergruppen hielten und sie wie die Hasen jagten“ sehen konnte. Die Geschichten zweier Männer – der eine, der 18 Jahre alt war, als der Krieg begann und der andere, der 18 Jahre alt war, als er aufhörte – brachte das Ausmaß des Krieges – das Kriegstrauma - zum Ausdruck.
„Ihr könnt es euch nicht vorstellen“, sprach Frau Sowa das Publikum immer wieder an. „Das menschliche Verhalten [meiner Eltern] hat mein Leben gerettet. Krieg bringt nur Hass und Tod.“ Ihre persönlichen Erlebnisse hatten Einfluss auf ihre Tätigkeit im Friedensdorf. „Ich wollte niemals feige sein – sondern mutig und mit meinen Taten etwas bewegen.“
Wie bedeutsam Berichte von Zeitzeugen sind, stellte Thomas Jacobs, Leitung des Friedensdorfes, in seiner Anmoderation noch einmal klar. „In Zeiten, wo rechtspopulistische Parteien mit nationalsozialistischen Parolen Anklang in der Gesellschaft finden und Rassismus und Menschenfeindlichkeit wieder offen ausgelebt werden können, liegt es an uns und insbesondere an der jungen Generation aufzustehen und sich gegenzustellen. Wir müssen laut werden.“
In Hinblick auf die bevorstehende Europawahl ruft er deswegen zur Beteiligung auf: „Europa ist der Garant für Frieden. Ohne das Konstrukt Europa werden wir den Frieden hier nicht halten können.“
Gedenken beinhaltet ein ehrendes Zurückdenken, ein Erinnern und ein Besinnen. Aber es geht noch weit darüber hinaus. „Eine Veranstaltung wie der Vortrag von Frau Sowa zeigt, dass wir uns der Fehler durchaus bewusst sind, die in der Vergangenheit gemacht wurden. Wir erweisen den Opfern Respekt und wollen sie in unserem Gedächtnis behalten, um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen.“
One Response
Marlis Knappe
Angeregt durch die obigen Erzählungen: Breslau – der lange Flüchtlings-Treck. Wer die Flucht aus der Stadt Breslau 1945 erlebt hat, der hat dem Teufel ins Maul geschaut. Werner (11 Jahre) mit seiner Mutter und den beiden Geschwistern mussten Breslau im Januar 1945 auf schnellstem Wege verlassen. Ein kleiner Handwagen wurde vollgepackt und die beiden kleinen Geschwister Monika und Peter (4 und 2 1/2 Jahre) in Wolldecken verpackt auf den Wagen gesetzt. Bei klirrender Kälte ging es mit einem LKW los und später mit dem Handwagen weiter, denn Breslau war als Festung erklärt worden. Mutter und Sohn zogen den bepackten Wagen. In panischer Angst ging der Weg der Flüchtlinge durch Feindesland in Richtung Westen. Unterschlupf fand man in verlassenen Scheunen. Bewaffnete Zivilisten säumten in der Tschechoslowakei den Weg des Flüchtlingstecks. Ein Erlebnis, welches Werner nie vergessen kann war die Ermordung eines Kleinkindes. Das Kind konnte nicht mehr laufen und die Mutter war auch schwach von dem langen Fußweg. Das Kind weinte und ein Wegelagerer nahm das Kind zwischen die Beine und brach ihm das Genick. Die Mutter stürzte sich auf ihr sterbendes Kind und wurde dann auch mit einem Genickschuss getötet. – Kann so etwas ein 11jähriger Junge je vergessen?