Zweitzeugen-Workshop

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Zeitzeugin Eva Weyl wurde als Kind in das Konzentrationslager Westerbork deportiert

Gegen das Vergessen

Diese Tage, wo auf Demonstrationen der sogenannten „Querdenker“ Menschen gegen die Schutzmaßnahmen der Regierung protestieren und zum Teil ihre Situation mit Zuständen im zweiten Weltkrieg gleichsetzen, zeigt noch einmal, wie wichtig die intensive Auseinandersetzung mit den Geschehnissen im Holocaust ist. Insbesondere junge Menschen, die sich mit Anne Frank und Sophie Scholl vergleichen, sollten den Blick in ein Geschichtsbuch noch einmal wagen, um sich der Bedeutung ihrer Verharmlosung bewusst zu werden.

Eine Möglichkeit besteht darin sich konkret mit den Erlebnissen von Menschen zu beschäftigen, die in dieser Zeit gelebt haben.

Am 17. November 2020 konnte das Friedensdorf Bildungswerk durch die finanzielle Unterstützung der Antisemitismusbeauftragten des Landes NRW, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, den Verein Zweitzeugen e.V. eingeladen, um einen Workshop für Schüler*innen der Sozial AG des Bertha von Suttner Gymnasiums aus Oberhausen zu geben.

Selin Kaya, die derzeit ein dreimonatiges Praktikum im Bildungswerk absolviert und an diesem Workshop teilgenommen hat, berichtet im Anschluss über Ihre Gedanken:

Stellen Sie sich vor Sie sind Lehrer*in, stehen morgens auf und holen sich Ihre warme Milch, dazu essen Sie ein mit Ei belegtes Brot. Dann fahren Sie mit dem Auto zur Arbeit. In der Mittagspause genießen Sie Ihre Lieblingsschokolade. Nachmittags gehen Sie mit Ihren Freund*innen zum Sportverein, um den ganzen Alltagsstress zu bewältigen.

UND JETZT stellen Sie sich vor, dass Sie all diese Dinge nicht tun können – denn Sie sind jüdisch, ein Mensch mit Behinderung, homosexuell, tragen Kopfbedeckung oder sehen anders aus als man von Ihnen verlangt.  Sie werden ausgeschlossen vom alltäglichen Leben!

Mit diesem Gedankenspiel starteten Ksenia Eroshina und Lotta Eller Referentinnen des Vereines Zweitzeugen e.V., den dreistündigen Online-Workshop am 17. November.

ZWEITZEUGEN e.V. interviewt Zeug*innen des Holocausts, dokumentiert ihre Geschichten und erzählt sie dann in Workshops, Seminaren und Ausstellungen weiter. Der Verein sieht die Aufgabe darin, die Geschichten der Überlebenden weiterzutragen. Sie bilden somit sogenannte Zweitzeug*innen aus, die eine aktive Rolle innerhalb der Erinnerungskultur übernehmen. Die Geschichten der Überlebenden des zweiten Weltkrieges zeigen eindrücklich, dass sich der Einsatz gegen rassistische Ideologien lohnt. Jugendliche und junge Erwachsene werden mithilfe der Zeitzeug*innen zu Vorbildern, die die Gesellschaft aus dem Schrecken des Holocaust bis in die Gegenwart führen und dazu ermutigen, Gefühle in Taten umzusetzen.

Gemeinsam mit mehr als 20 Schüler*innen und jungen Erwachsenen habe ich an diesem Workshop teilgenommen. Die Referentinnen erzählten uns zum Bespiel die Geschichte von der Zeitzeugin Eva Weyl, die als Kind ins Konzentrationslager Westerbork deportiert wurde.  Ein Bild von ihr und ihrer Begegnung mit Anke Winter, Enkelin von Albert Konrad Gemmeker, dem damaligen Lagerkommandanten des Durchgangslagers, zeigte uns, die wichtige Bedeutung des Verzeihens und dass niemand für die Taten seiner Vorfahren in der Vergangenheit verantwortlich ist. Es ist erstaunlich, wie offen sie mit ihrer Vergangenheit umgehen und Freundschaft schließen. Sie laden Menschen dazu ein, die Stimme gegen politischen Extremismus zu erheben.

Mithilfe eines Videos vermittelten Ksenia Eroshina und Lotta Eller die Reaktionen der Überlebenden, während sie Briefe von Schüler*innen vorlasen, die an sie adressiert waren. Insbesondere diese Briefe  zeigten uns, dass viele Jugendliche keinen Unterschied zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen, Hautfarbe oder Herkunft machen.  Das aktive Mitwirken der Schüler*innen im Onlineseminar hat offensichtlich gezeigt, wie verantwortungsbewusst die Schüler*innen und jungen Erwachsenen sind, dass sie die Verbindung zwischen sich und den Betroffenen schaffen möchten. Sie wehren sich gegen das Vergessen und möchten aus der Geschichte lernen.

Um das fortzuführen und zu erweitern, ist es besonders wichtig, sich für das soziale Engagement einzusetzen. So ermutigen Vorbilder gegen Rassismus aktiv zu werden. Ob nun Juden mit der Kippa, Christen mit der Kreuzkette oder Muslima mit dem Kopftuch usw. – niemand sollte wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen oder rassistisch benachteiligt oder bevorzugt werden.

„Leben und leben lassen ohne einem anderen verbal oder nonverbal einen Schaden zuzufügen“, so ist mein Motto für eine Gesellschaft der Vielfalt.

Wir danken Sabine Leutheusser-Schnarrenberger für die Unterstützung!

 

2 Responses

  1. Ulrike Fäuster
    | Antworten

    Juden mit Kippa, Christen mit Kreuz, Muslima mit Kopftuch – das ist eine Minderheit derjenigen, die diskrimiert werden – und warum werden hier expressis verbis konservative Gläubige genannt? Ein Gedankenfehler? Jedenfalls in meinen Augen geht das nicht. Ich werde auch keinen sehr konservativen Christen diskriminieren, aber ich lehne deren Geisteshaltung ab.

  2. Maria+Sowa
    | Antworten

    Jetzt ist es gerade mal ein Menschenalter her, da Rassenhass Europa an den Abgrund gebracht hat und schon hebt die Hydra wieder ihr Haupt. Habt Ihr die vielen Toten auf den Schlachtfeldern, in den Konzentrationslagern und unter den Trümmern der Häuser infolge ständiger Bombenangriffe vergessen?
    Wir, die es erlitten haben, leben noch, ich werde nicht mehr fliehen, in keinen Keller gehen, sondern auf ein schnelles Ende hoffen.

    Wir haben nur eine Hoffnung, dass der Kelch an uns vorübergeht. Die Reichen dieser Welt haben noch keinen Zufluchtsort gefunden, an dem sie den eingesetzten Atombomben entfliehen, über die heute weltweit verfügt wird .Wenn sich das ändert, dann „Gnade uns Gott“.

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