„Mitleid kannst du nicht abschalten“

Familie bei einer Kindervorstellung in Kurgan Tube.

Friedensdorf-Team erlebt bittere Armut in Tadschikistan

Sieben Tage, sieben Provinzen, 1.500 Kilometer. Das Programm des Friedensdorf-Einsatzteams ließ schon vor Abflug erahnen, dass der Hilfseinsatz in Tadschikistan einem straffen Zeitplan folgen würden. Und trotzdem war die Vorfreude riesig, als Birgit Hellmuth, Hikmat Yorov und Claudia Peppmüller am 5. Juni in ein Flugzeug Richtung Zentralasien stiegen. Nach drei Jahren „Zwangspause“ durch die Pandemie war es endlich wieder möglich, nach Tadschikistan zu reisen, um gemeinsam mit der Partnerorganisation „Dechkadai Sulh Derewnja Mira“ Kinder für eine medizinische Behandlung in Deutschland auszuwählen. Nun, nach Sichtung von fast 300 kranken Kindern, ist das Team der Hilfsorganisation mit vielen Eindrücken zurückgekehrt. Ein besonders prägender Eindruck ist die Armut der Menschen vor Ort.

Tatsächlich zählt die Republik Tadschikistan zu den ärmsten Regionen Zentralasiens. Von den fast zehn Millionen Einwohnern leben die meisten Menschen in ländlichen Gebieten und betreiben Landwirtschaft fast ausschließlich mit ihren eigenen Händen. Jedes Familienmitglied muss dabei mithelfen - die Kinder kümmern sich z.B. um das Vieh, während die Eltern mit der Spitzhacke das Feld bestellen. Wie das Friedensdorf-Team erfuhr, gehen etwa 80 Prozent der Menschen in Tadschikistan keiner geregelten Erwerbstätigkeit nach.

Extreme Armut erschwert die medizinische Versorgung

Die meisten medizinischen Behandlungen sind nur in der Hauptstadt Duschanbe möglich. In Tadschikistan müssen Medikamente, Untersuchungen, Operationen oder Krankenhausaufenthalte selbst bezahlt werden. Die Familienmitglieder übernehmen die Pflege der Kranken. Für die meisten Familien ist jedoch allein der Weg in die Hauptstadt finanziell nicht realisierbar. Wie wir längst auch in Deutschland zu spüren bekommen, treibt der Krieg in der Ukraine die Preise weiter in die Höhe. Und so können sich die ohnehin schon armen Tadschiken eine einfache Fahrt nach Duschanbe erst recht nicht mehr leisten. Aus diesem Grund plante der Friedensdorf-Partner vor Ort die Reise so, dass das Friedensdorf-Team zu den Menschen in die Provinzen fuhr. Dies bot eine gute Gelegenheit, noch mehr über Land und Leute zu erfahren. Auf der Reise quer durch den Süden Tadschikistans, von der Hauptstadt Duschanbe bis in das dörfliche Djaihun an der afghanischen Grenze, wurden dem Team in der vergangenen Woche rund 300 kranke Kinder vorgestellt – mehr als gewöhnlich. Trotzdem hatte Projektpartner Safar mit einer noch höheren Anzahl gerechnet: „Wir haben mit mehr Kindern gerechnet. Gerade an den zwei Orten, an denen wir bisher noch nie waren. Aber hier müssen die Menschen erst Vertrauen in Bezug auf unsere Arbeit aufbauen.“

Die Kindervorstellungen fanden allesamt in den Räumlichkeiten lokaler Projekte statt; in Rehabilitationszentren für Kinder mit körperlicher und geistiger Behinderung. Eine Ausnahme bildete ein Haus in der Stadt Kurgan-Tjube. Dort wohnt Nigora, die von 1999 bis 2000 selbst aufgrund einer schweren Brandverletzung im Friedensdorf war. Ihre Eltern hatten nach Nigoras Genesung ein Büro eröffnet, um kranken Kindern wie Nigora zu helfen. Für Nigora ist der Empfang von kranken und verletzten Kindern zu Kindervorstellungen in ihrem Elternhaus eine Herzensangelegenheit: „Ich kann genau verstehen, wie sich die Kinder fühlen und wie es den Familien geht. Auch ich war krank und jetzt sind meine Narben, Gott sei Dank, geheilt und ich bin gesund. Deshalb bin ich dem Friedensdorf auf ewig dankbar und helfe gerne.“

Zu den Kindervorstellungen kamen auch viele Familien, deren Kinder geistige oder körperliche Behinderungen haben. Die hohe Anzahl an körperlich behinderten Kindern in Tadschikistan ist vor allem auf die Geburten zurückzuführen, die tadschikische Frauen ohne ärztliche Betreuung zuhause erleben. Eine schwierige sowie für Mütter und Neugeborene nicht ungefährliche Situation: „Sie haben mir das Kind regelrecht rausgerissen“, erzählt eine Mutter in Hamadoni. Zudem stellen die aus den gewaltsamen Geburten resultierenden Behinderungen ein Problem für die ganze Familie dar. Besonders in den ländlichen Regionen wird nämlich jede helfende Hand gebraucht, um das Überleben der Familie zu sichern.

Aufgrund der vielen körperlich eingeschränkten Kinder in Tadschikistan finanzierte das Friedensdorf 2016 ein Projektgebäude in Duschanbe. In dessen Physiotherapie-Raum werden Kinder mit Behinderung mobilisiert und die Familienangehörigen im Umgang mit ihren Kindern geschult. Dies bedeutet eine enorme Entlastung im Alltag der Familien. Erweitert wurde das Projekt 2019 für Kinder mit schwersten Behinderungen um ein mobiles Physiotherapie-Team, das vor Ort Hausbesuche durchführt („Rehabilitation zu Hause“). Aufgrund der Pandemie musste auch dieses Projekt zwei Jahre lang ruhen.

Im Projektgebäude in Duschanbe arbeiten Krankenschwester und Physiotherapeutin Sarina und Masseurin Mavluda. Trotz ihrer jahrelangen Erfahrung ist die Arbeit mit den Kindern für Sarina alles andere als Routine: „Mitleid kannst du nicht abschalten“, berichtet sie dem Friedensdorf-Team. Sie ist für die Kinder und Familien da, versorgt sie, berät. Wütend mache sie, wenn sie erfahre, dass Väter ihre Familien nach der Geburt eines behinderten Kindes verlassen. Die Frauen blieben dann allein mit der Versorgung der Kinder zurück. Daher sei neben der medizinischen Versorgung auch die Aufklärungsarbeit im Land so unglaublich wichtig.

Nachversorgung ehemaliger Friedensdorf-Schützlinge

Auf seiner siebentägigen Reise traf das Friedensdorf-Team auch auf ehemalige Schützlinge der Friedensdorf-Hilfe. Ein wichtiger Teil dieser Hilfe ist es, sicherzustellen, dass genesene Kinder nach der Rückkehr in ihre Heimat auch langfristig begleitet und gegebenenfalls mit Dauermedikamenten versorgt werden. Viele ehemalige Schützlinge erfuhren vom Besuch des Friedensdorf-Teams und suchten es auf, um sich noch einmal für die Hilfe zu bedanken. In einem Fall hatte ein Wiedersehen eher pragmatische Gründe. Warum der genesene Junge das Hilfseinsatzteam besuchte? Über die Antwort musste das Einsatzteam schmunzeln: „Na, weil ich [von der Partnerorganisation] angerufen wurde.“

Doch nicht nur die Kinder selbst zeigten sich dankbar für die Hilfe des Friedensdorfes. Auch Familienangehörige nahmen den Besuch von Birgit Hellmuth, Hikmat Yorov und Claudia Peppmüller zum Anlass, um ihre Dankbarkeit auszudrücken. Und so trat das Friedensdorf-Team seine Heimreise mit selbstgestrickten Socken der Großmutter eines ehemaligen Schützlings im Gepäck an. Auch das ist etwas, was von Tadschikistan bleibt: Extremer Armut und mangelnder medizinischer Versorgung wird mit viel Freundlichkeit und Menschlichkeit getrotzt.

One Response

  1. Nazira
    | Antworten

    Мы очень благодарны этому организации особенн я Мне тоже вы лечили теперь я стала женщиной имею двоих детей

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