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Afghanistan-Blog: Hungersnot und Zukunftsangst nach der Mai-Sturzflut

6. Juli

In Falool, Distrikt Burka, Provinz Baghlan. Wir waren 13 Stunden unterwegs, um von Kabul hierher zu kommen. Am 10. Mai ist nach extremen Regenfällen eine Sturzflut durch das Dorf gerauscht.

62 Menschen sind gestorben, tausend Familien haben alles verloren. Von ihren Häusern stehen allenfalls noch die Grundmauern, von manchen Gebäuden ist gar nichts mehr zu sehen. Wo einst Äcker und Obstplantagen waren, ist jetzt nur noch eine ausgedörrte Wüstenlandschaft, bedeckt mit dem Geröll, das aus den Bergen gespült wurde. Schafe, Hühner und Ziegen sind in der Flut umgekommen.

Die Familien leben jetzt in Zelten, acht, neun, zehn Leute, die nur noch die Kleidung haben, die sie am Tag der Katastrophe trugen. Es herrschen aktuell Temperaturen von weit über 40 Grad, es gibt weder fließendes Wasser noch Strom. Bis zu 6000 Kinder sollen betroffen sein, haben uns die Ärzte des Afghanischen Roten Halbmondes berichtet, die in Falool medizinische Hilfe leisten.

Hautkrankheiten, Läusebefall, Mangelernährung und Durchfallerkrankungen plagen die Überlebenden. Große Angst herrscht vor dem Winter, der in der Region bitterkalt wird. Wir haben bereits Medikamente direkt in die Region bringen lassen. Gemeinsam mit der Funke Mediengruppe planen wir weitere Hilfen. Das Medienhaus hat 10.000 Euro bereit gestellt, um weitere Unterstützung leisten zu können.

In diesem Jahr sind in Afghanistan bereits 32 Provinzen von Sturzfluten nach Extrem-Niederschlägen heimgesucht worden. Hunderte Menschen sind gestorben. Etwa 250.000 Menschen haben alles verloren. Kein Mensch hier kann sich an ähnlich heftige Wettereignisse erinnern. Die Folgen des Klimawandels treffen Afghanistan, eines der ärmsten Länder der Welt, mit aller Härte.

5. Juli

Jila führt mit ihren fünf Kindern ein hartes Leben. Vor sechs Jahren ist ihr drogenabhängiger Ehemann in Kunduz verstorben, seitdem lebt sie mit ihren Kindern allein in einer kleinen Wohnung in Kabul. Als Reinigungskraft verdient sie umgerechnet täglich 2,60 Euro, wenn es gut läuft, ca. 80 Euro im Monat. Es reicht vorne und hinten nicht, schon gar nicht für eine medizinische Versorgung. Über ihr Leben zu klagen hat sie keine Zeit, schildert die krisengebeutelte Frau. Heute ist sie gekommen, um uns die Füße ihrer neunjährigen Tochter zu zeigen.

2. Juli (nachmittags)

Wir haben gute Nachrichten: Ahmad hat seine Operation gut überstanden. Am rechten Bein hat er eine Knochenentzündung. Sämtliches infiziertes Material, insgesamt 10 mal 2 cm aus der Vorderfläche des Schienbeins, mussten entfernt werden.

Sein Vater bleibt während des Klinikaufenthaltes an seiner Seite. Wir hoffen, dass er bald wieder beschwerdefrei laufen kann.

2. Juli (morgens)

Seit November 2023 finanzieren wir Operationen in zwei Kliniken in Kabul. Heute haben wir Ahmad ins Krankenhaus begleitet. Seine Knochenentzündung kann hier behandelt werden. Morgen wird unser, für uns ehrenamtlich tätiger Arzt, Dr. Ralf Steinen-Perschke an Ahmads Operation teilnehmen.

1. Juli

3 Uhr morgens in Kabul. Unser Team des Friedensdorf International hat den ganzen Vortag und die halbe Nacht Kinder untersucht und entschieden, welche der Kleinen mit zur Behandlung nach Deutschland kommen können. Vor dem Büro schlafen Familien in den Mauernischen. Es sind Menschen, die teils tagelang angereist sind, um ihre Kinder vorstellen zu können. Wer keine Verwandten in der afghanischen Hauptstadt hat, sucht sich irgendwo einen Platz für die Nachtruhe. Geld für die Übernachtung selbst in den günstigsten Absteigen haben die Wenigsten. Manche der Kinder, die wir sehen, sind spindeldürr, weil ihre Eltern ihnen nicht genügend zu Essen kaufen können.

In Kabul bieten Händler tagsüber in ihren mobilen Verkaufsständen frisches Obst und Gemüse an, auf den ersten Blick scheint es, als gebe es genügend Lebensmittel. Aus den Bäckereien wabert der Duft frischen Brotes. In den Basaren preisen Verkäufer Textilien und Gewürze an. Der Straßenverkehr ist wieder fast so hektisch und laut wie vor der Machtübernahme der Taliban im August 2021. Bärtige und langhaarige Polizisten und Soldaten winken die Autos lässig durch die Checkpoints. Smog liegt über der Stadt.

Der Eindruck von Normalität in der Hauptstadt täuscht. Noch immer ist die wirtschaftliche Lage für die allermeisten afghanischen Menschen insbesondere in den Provinzen katastrophal. Viele sind arbeitslos, perspektivlos, unternährt. In diesem Jahr sind durch Sturzfluten Hunderte Menschen ums Leben gekommen und Tausende Häuser zerstört worden. Erst vor drei Tagen sind in Bamyan 200 Kilometer westlich von Kabul zwei komplette Familien in Wassermassen ertrunken. 150 Familien haben kein Zuhause mehr. Wir werden in den kommenden Tagen in ein Flutgebiet fahren, um uns die Situation anzuschauen. Wir wollen helfen.

30. Juni

Auch am dritten Tag ist morgens kein Sitz im Saal des Afghanischen Roten Halbmondes mehr frei. Unter den Wartenden ist auch der 37-jährige Abdul mit seiner kleinen Tochter Halima, sie ist sechs Jahre alt. Als er den Raum betritt, in dem unserem Team die verletzten und kranken Kinder vorgestellt werden, strahlt er vor Freude. Er erkennt sofort Birgit Hellmuth und Dr. Marouf, die ihn vor vor 26 Jahren mit ausgewählt hatten für eine medizinische Versorgung in Deutschland.
Die Narben an seinem rechten Bein zeigt er ganz selbstverständlich. Sie zeugen von der Zeit, die er wegen einer Knochenentzündung im Friedensdorf und im Krankenhaus verbracht hat. Es war nicht nur für ihn eine Zeit der Therapie, sondern auch der Inspiration. In Deutschland hat er erlebt wie viel Gutes für Menschen möglich, wenn Frieden herrscht.
Heute hilft den Menschen in seiner Heimat wo er kann. Vor allem, wenn sie krank sind, unterstützt er sie tatkräftig.
Heut ist er hier, weil er hofft, dass wir seiner kleinen Tochter medizinisch helfen können. Sein Kind wird die nächste Generation im Friedensdorf sein.

29. Juni

Zweiter Tag der Kindervorstellung in Kabul. Es ist jetzt elf Uhr nachts, unser Team vom Friedensdorf International hat nach vier Stunden Schlaf seit heute Morgen um neun Uhr durchgearbeitet. Wieder sind uns weit über einhundert Kinder vorgestellt worden. Die Eltern nehmen unglaublich viel auf sich, um in die afghanische Hauptstadt zu kommen, manche hatten eine Anreise von mehreren Tagen. Die Familie auf dem Bild ist vier Tage und drei Nächte aus Herat angereist. Der Sohn hat eine Knochenentzündung am Bein. Für die Behandlung ihres Kindes haben die Eltern bereits umgerechnet 4000 Euro ausgegeben. Die Ärzte, die den Jungen operiert haben, waren schlimme Pfuscher. Der Vater verdient als Tagelöhner wenn es gut läuft umgerechnet 65 Euro monatlich. Die Eltern sind jetzt bis an ihr Lebensende verschuldet. 

Obwohl unsere Partner und Freunde vom Afghanischen Roten Halbmond in den sozialen Medien oder im Fernsehen immer wieder darüber aufklären, welche Krankheiten oder Verletzungen wir behandeln können und welche nicht, werden uns immer wieder Kinder mit Behinderungen vorgestellt, die keine medizinische Behandlung dieser Welt heilen kann. Die Eltern setzen einfach viel Hoffnung auf die Begegnung mit unseren Ärzten, weil sie glauben, dass in Deutschland einfach alles möglich ist. Manche Mamas haben ihre Söhne und Töchter so prächtig angezogen, als besuchten sie ein Fest. Diese Begegnungen sind für unser Team nicht einfach, weil immer wieder Erwartungen enttäuscht und Hoffnungen zerstört werden. Gleichzeitig wird uns klar, welches Privileg wir haben, mit einem guten Gesundheitssystem gesegnet zu sein. Noch immer sitzen im großen Saal zwei Dutzend Kinder. Morgen geht es weiter.

28. Juni

Es ist fast 3.00 Uhr nachts in Kabul. Eine handvoll kleiner Patienten ringen vor dem kleinen Behandlungsraum mit ihrer Müdigkeit. Seit gestern 8.00 Uhr haben sie im großen Saal auf dem Hof unserer Partnerorganisation ausgeharrt, um uns ihre Verletzungen zu zeigen. Was für eine bewundernswerte Geduld und Stärke!

27. Juni

Heute morgen um 6.15 Uhr sind wir in Kabul gelandet. Zum ersten Mal saßen nicht nur die Familien im Saal des ARCS, die es kaum erwarten konnten, ihre genesenen Kinder in ihre Arme zu schließen, sondern auch die, welche uns ihre verletzten und kranken Kinder vorstellen möchten. Das Glück der einen hat sehr viel Ängste der anderen genommen, die aus reiner Not auf eine Behandlung ihres Kindes in Deutschland hoffen. (Foto unten: André Hirtz)

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