Berichte von Ehrenamtlern
„Seid authentisch!“ oder: Wunder geschehn, ich habs gesehn
Dr. Birgit Buchholz – Umgebung Koblenz
„Wunder geschehn…“ das ist von Nena, und sie hat es damals geschrieben, als sie ein eigenes behindertes Kind gepflegt hat.
Das Wort passt wunderbar auf die Fotoshow, die wir von Kevin Dahlbruch und dem Solinger Fotografen und ehrenamtlichen Friedensdorf-Mitarbeiter Uli Preuss gezeigt bekamen. Wir sahen u.a. Fotos von wohl und gesund aussehenden Friedensdorf-Kindern, wie sie nach erfolgreicher medizinischer Behandlung in unserem Land und Rückführung in ihre Heimat Afghanistan durch die Mitarbeiter des Friedensdorfs von ihren Angehörigen abgeholt wurden.
Man sah im Hintergrund das einfache Büro des Roten Halbmonds in Kabul und auf ein und derselben Holzbank immer wieder neue Paare oder Dreiergruppen eng beisammen: Kind mit Papa, Kind mit Mama, Opa, Oma, Bruder, Schwester, Onkel oder Cousin. Manchmal müde, überwältigt und stumm vor Glück, manchmal strahlend und kuschelnd. Noch mehr haben mich die Gesichter der AbholerInnen bewegt. Wunder geschehen!
Ein ganz besonderes, ganz persönliches Wunder war für mich das Foto von Halima und ihrem Vater. Halima ist ein ehemaliges Friedensdorf-„Kind“ – sie ist nämlich inzwischen 32 Jahre alt! Auch sie stellte sich nach langer Zeit wieder in Kabul vor und ließ sich, genau wie ihr weißhaariger Papa, mit strahlenden Augen auf der besagten Holzbank fotografieren. Ein schwarzes Tuch locker um den Kopf geschlungen, der Vater in afghanischer Landestracht, ein Bild von Glück und Zufriedenheit an einem der derzeit schlimmsten Orte der Welt. Denn Afghanistan ist nach einer politischen Statistik derzeit einer von einer Handvoll „failed states“ auf der Welt, „gescheiterter Staaten“, in denen das Leben hart und gefährlich ist.
Halimas Leben ist, dank Friedensdorf, nicht bereits 1989 an ihrer Erkrankung gescheitert. Damals wurde sie beim zweiten Afghanistan-Einsatz von den Friedensdorf-Mitarbeitern nach Deutschland geholt und kam in ein Koblenzer Krankenhaus. Es war der Marienhof, unser „Nachbarkrankenhaus“ – in Sichtweite von meinem damaligen Arbeitsplatz, wo ich zwei afghanische Jungen auf unserer Station betreute (als Ärztin und gleichzeitig eine Art „große Schwester“). Ich erinnere mich gut an einen oder zwei Besuche bei der damals neunjährigen Halima und ihrer jüngeren Leidensgefährtin, und auch an Gespräche mit ihrer Betreuerin und dem behandelnden Arzt. Sie konnten den beiden Mädchen damals dort sehr gut und nachhaltig helfen. Als ich dann die alten Fotos aus dem Krankenhaus sah, die Halima all die Jahre aufbewahrt und zu Dr. Marouf vom Roten Halbmond mitgebracht hatte, war ich sehr berührt, und es hat bestimmt auch ein Lächeln auf mein Gesicht gezaubert. Wunder geschehen!
Am folgenden Tag hatten wir, wieder moderiert von Herrn Dahlbruch, in unserer Runde lebhafteste Diskussionen. Zwei Friedensdorf-Mitarbeiterinnen, Claudia Peppmüller und Hanna Lohmann zeigten uns, wie man im Dorf heute mit der Zeit geht und moderne Medien wie Internet und Soziale Netzwerke für die Arbeit zum Wohl der Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten einsetzt. Ziemlich genau die Hälfte der Teilnehmer, nämlich die „jungen Erfahrenen“, outeten sich als geübte User und brachten ihre Begeisterung zum Ausdruck, wie sich damit auch als EhrenamtlerIn arbeiten und Erfolge erzielen lässt. Das hat mich einerseits sehr beeindruckt. Die andere Hälfte des Teilnehmerkreises, zu der auch ich gehörte, zeigte aber andererseits persönliche Zurückhaltung und brachte manche kritische Anmerkung.
Man wird es schon erraten haben: Hier saßen diejenigen, die teilweise noch ohne PC und Handy groß geworden sind.
Das Fazit des Vormittags war: das Friedensdorf als internationales Hilfswerk kann sich den neuen medialen Entwicklungen nicht verschließen. Das Internet erleichtert durch die schnelle, zuverlässige weltweite Kommunikation die Arbeit der Mitarbeiter heute ungemein, vor allem wenn es um Planung und Durchführung der Auslandseinsätze geht. Andererseits binden solche Aufgaben wie Erstellung und Pflege der Website und die Präsenz in Facebook sowie die Beantwortung zahlreicher Nachrichten und Anfragen im Internet auch wiederum Arbeitszeit der MitarbeiterInnen, so dass nicht nur Thomas Jacobs als Dorfleiter, sondern auch DiskussionsteilnehmerInnen aus unserer Runde für eine vernünftige Eingrenzung der diesbezüglichen Aktivitäten plädierten.
Gefragt nach dem „praktischen Nutzen“ z. B. von Facebook, was den Zugewinn an neuen EhrenamtlerInnen und SpenderInnen für das Friedensdorf angeht, fiel die Antwort der hierfür Verantwortlichen realistisch aus: Geldspenden sind trotzdem bedauerlicherweise zurückgegangen, und wenn auch durch Informationen im Internet immer wieder neue Interessenten für die ehrenamtliche Arbeit gewonnen werden können, so ist die Quote derjenigen, die nach einem Einführungsseminar wieder das Handtuch werfen, nach wie vor betrüblich hoch. Nun, die SeminarteilnehmerInnen zählten auf jeden Fall zu denjenigen ehrenamtlichen Kräften, die ihr herausragendes Engagement und ihren langen Atem bereits bewiesen haben, wie man aus vielen fesselnden Beiträgen und Berichten der Runde lernen konnte. Wir alle haben so gegenseitig wichtige Anregungen, Denkanstöße und Hilfestellungen erhalten und waren uns letztendlich einig, dass neue Medien und das Agieren in der virtuellen Welt den realen Kontakt von Mensch zu Mensch, das Gespräch und die kritische Auseinandersetzung miteinander nur ergänzen, aber niemals ersetzen können.
Die Parallelwelt im Netz kann verführerisch sein, kann leicht hinreißen zu Schnelllebigkeit, Oberflächlichkeit, Unverbindlichkeit, zur Geschwätzigkeit und Leichtgläubigkeit. Dass hier Vorsicht geboten ist, wurde von haupt- wie von ehrenamtlichen Mitarbeitern übereinstimmend festgestellt.
Ein weiterer wichtiger Diskussionspunkt, zu dem die anwesenden Damen und Herren aus allen vier Ecken Deutschlands aus ihrer praktischen Erfahrung ebenfalls viel zu sagen hatten, war das Thema „Regeln der Kommunikation mit Friedensdorf-Kindern“ im Hinblick auf die inzwischen weltweite dichte Verbreitung von Mobilfunk und Internet. Kevin Dahlbruch stellte eingangs die provokante Frage, ob man bewährte Regelungen nun ändern müsse und allen Friedensdorf-Kindern jetzt erlauben müsse, jederzeit nach Herzenslust nachhause zu telefonieren, zu mailen und zu skypen (mal abgesehen von der Frage, wer die Kosten dafür tragen sollte und wo dabei die ärmeren Kinder blieben). Interessanterweise bestand eine vollkommene Übereinstimmung zu dem Thema zwischen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern: die Antwort heißt „nein“! Kevin Dahlbruch war fast ein wenig verwundert über diese ausbleibende Konfrontation und meinte, wo denn unsere Kritik am Friedensdorf bliebe. Allerdings gab es einfach nichts zu kritisieren.
Alles an dem Seminar war einfach so gut gelungen, alle Mitwirkenden vor Ort waren derart freundlich und tüchtig, von der modernen Präsentationstechnik bis hin zur hervorragenden Verpflegung lief alles angenehm und wie am Schnürchen.
Und für die Einhaltung gewisser Regeln für die Friedensdorf-Kinder und für alle, die mit ihrer Pflege im Dorf und in den Krankenhäusern betraut sind, sprechen einfach Vernunftgründe, Menschlichkeit und langjährige Erfahrung. Wer wollte da widersprechen, als zum Beispiel vielfach berichtet wurde, wie aus Kommunikationspannen Desinformation, Missverständnisse, Ängste bei den fernen Angehörigen, plötzliches Misstrauen gegenüber den Betreuern bis hin zur Behinderung der ärztlichen Behandlung entstehen können. Alles stellt sich dann letztendlich als unbegründet heraus, hat aber zuvor schon alle Beteiligten unnötig stark belastet. Wir jedenfalls halten uns gern auch draußen in den Krankenhäusern an solche vernünftigen Regeln und unterstützen damit die Leute im Friedensdorf, die während des notwendigen Aufenthaltes der Kinder in Deutschland als deren Vormund fungieren müssen.
Am Rande des Tagungsprogramms haben mich nicht zuletzt die anderen Teilnehmer beeindruckt. Die eher Stillen zum Beispiel, die tagein, tagaus vor Ort einfach ihre Pflicht darin sehen, für ein krankes Kind da zu sein, das im Augenblick ohne Eltern sein muss. Die dafür kein Lob und keine Anerkennung erwarten, nicht im Licht der Öffentlichkeit stehen, nur verlässlich und belastbar tun, was getan werden muss. Die vielleicht im Seminar nicht so viel gesagt haben, aber viel zugehört haben, alles in sich aufgenommen haben um zuhause in Ruhe darüber nachzudenken und daraus neue Denkanstösse zu gewinnen. Besonders auch diejenigen, die sich als „Satelliten“ bezeichneten, „Einzelkämpfer“ sozusagen – Ehrenamtlerinnen, die an einem Ort allein dastehen weil der nächste Betreuerkreis zu weit weg ist und sich (noch) keine anderen Helfer gefunden haben, um die Verantwortung für ein Friedensdorf-Kind während einer Krankenhausbehandlung miteinander zu teilen.
Für diese war es erkennbar entlastend zu erfahren, wie ähnlich doch die Erfahrungen anderer sind, und beruhigend und bestätigend zu hören, was es noch für Tipps und Tricks für die Alltagsarbeit mit den Kindern in der Klinik gibt. Ich wünsche speziell diesen Männern und Frauen, dass sie bald Menschen finden, die ähnlich wie sie denken und mit denen sie nicht nur Arbeit teilen, sondern sich vor Ort häufig und regelmäßig aussprechen und austauschen können. Auf jeden Fall haben wir TeilnehmerInnen zum Schluss unsere Kontaktdaten ausgetauscht und uns gegenseitige Hilfe bei eventuellen Fragen und Problemen zugesagt.
Ein großes Schlusswort war dann der abschließende Appell des Dorfleiters an uns alle: „Seid authentisch!“ Ich würde „authentisch“ mal so interpretieren: echt, wahrhaftig, ungekünstelt, mitreißend…
Genau solche Menschen habe ich bei diesem Seminar im Friedensdorf kennengelernt. Menschen, denen man in die Augen sieht und dort sozusagen bis auf den Grund der Seele. Menschen, die in sich ruhen und gleichzeitig nach außen strahlen. Denn es ist doch so wie Gandhi sagte:
„Sei Du selbst die Veränderung, die Du Dir wünscht für diese Welt“.
Sei Du selbst! Und nur wer selbst von dem, was er tut, überzeugt ist, kann überzeugen. Da wären wir wieder bei der Gewinnung neuer EhrenamterInnen, beim Werben um Spenden für die Arbeit des Friedensdorfes. Das Friedensdorf braucht uns EhrenamtlerInnen dazu, nehmen wir die Herausforderung an. Wir wissen, dass einer realen Welt, die Kinder verletzt, verstümmelt und leiden lässt, nicht durch eine Flucht in die glitzernde Traumwelt des Internest, in Scheinidentitäten und oberflächliche, kurzlebige und unverbindliche „Freundschaften“ begegnet werden kann. Wir helfen niemandem und bewegen auf der Welt rein gar nichts dadurch, dass wir nur den „Gefällt mir“-Button drücken oder anonym hämische Kommentare ins Netz stellen. Sondern nur, indem wir uns selbst einsetzen mit allem was wir sind und wie wir sind, jeder als der einzigartige und wertvolle Mensch der er ist. Also mit Hirn, Herz – und Hand. Leute, macht weiter so!