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Ohne Hilfstransporte droht Verhungern

Eine absehbare Katastrophe in Bergkarabach

Die Hoffnung auf Frieden rückt in der seit Jahrzehnten von Aserbaidschan und Armenien umkämpften Krisenregion Bergkarabach in immer weitere Ferne: Seit Monaten wird der Latschin-Korridor, die einzige Verbindung zwischen Armenien und den von Armenien kontrollierten Gebieten in der Bergkarabach-Region, durch einen Kontrollpunkt der aserbaidschanischen Armee verschlossen gehalten. Konvois mit Hilfsgüterladungen stauen sich seit Wochen am Eingang des Korridors, doch die humanitäre Hilfe wird permanent blockiert. Für die Bevölkerung der mehrheitlich von Armeniern bewohnten Enklave eine Katastrophe. Sie wissen nicht, wie lange sie noch von der Außenwelt abgeschnitten und einer desaströsen Versorgungslage ausgesetzt sind.

Blockade von Hilfsgüterlieferungen verschärft Notlage

Schon im Dezember 2022 begann die Blockade des einzig verbliebenen Korridors von Armenien aus in die Region Bergkarabach. Konnten anfangs noch Versorgungsgüter russischer Truppen und humanitäre Hilfe des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK) nach Bergkarabach gebracht werden, wurde die Blockade im Juni 2023 verschärft. Einzig Krankentransporte des IKRK dürfen die Region verlassen. Hinein gelangt seit Wochen nichts und niemand mehr. Den Menschen fehlt es an lebenswichtigen Medikamenten, Grundnahrungsmitteln, Hygieneartikeln. Die Regale in den Supermärkten sind gespenstisch leer. Die anstehende Ernte von Weizen könnte die Notlage verbessern, doch die Menschen können nicht gefahrlos ihre Felder betreten. Zu groß ist das Risiko, in dem schmalen Landstreifen unter Beschuss zu geraten. Einzig, was im eigenen Garten wächst, kann den Hunger stillen.

„Für die Kinder ist die Situation besonders schlimm“

Von diesen furchtbaren Zuständen berichtet uns Arpi, ein ehemaliges Friedensdorf-Kind. Arpi kam 2007 für eine medizinische Behandlung nach Deutschland. Mittlerweile ist sie 30 Jahre alt und verheiratet. Arpi gelangte am 1. August unter schwierigen Umständen mit einem Krankentransport des Roten Kreuzes aus Bergkarabach nach Armenien, zusammen mit ihrem Ehemann. Und das auch nur, weil sie in ihrer Heimat nicht mehr medizinisch versorgt werden konnte. Arpi benötigt aufgrund einer urologischen Fehlbildung noch immer medizinisches Material, mit dem sie die armenische Partnerorganisation des Friedensdorfes, die Armenische Kinderassoziation, unter normalen Umständen regelmäßig versorgt. Durch die Blockade konnte sie diese wichtige Hilfe nicht mehr erhalten. Jetzt ist Arpi vorläufig in Armenien bei ihrer Tante untergekommen und bangt um ihre Lieben, die in Bergkarabach um ihr Leben kämpfen. „Für die Kinder ist es besonders schlimm“, berichtet Arpi. „Viele konnten zu Beginn der Blockade nicht fassen, dass es keine Süßigkeiten mehr gibt. Doch die Realität traf sie hart und schnell. Auch sie standen früh morgens in der Schlange, um an den wenigen Ausgabestellen eventuell ein Brot zu bekommen. Hatten sie Glück und bekamen eines, haben sie es in Stücke geteilt. Ein Stück für die Familie, ein Stück für Freunde, ein Stück für den nächsten Morgen.“ Arpis Eltern hatten eine Woche lang kein Glück. Sie haben kein Brot bekommen können. Ein Hoffnungsschimmer: Seit kurzem gibt es etwas Maisbrot. Ihre Mutter konnte heute drei Brote kaufen. Pro Person wird mit etwa 200 Gramm Maismehl gerechnet. Von einer Freundin, ebenfalls ein ehemaliger Friedensdorf-Schützling, erfährt Arpi, dass sich auch Babynahrung dem Ende neigt. Wie sie ihr acht Monate altes Baby dann versorgen wird? Ihre Oma ist im Besitz einer Kuh. Wenn sie keine andere Wahl mehr hat, wird sie ihr Kind mit Kuhmilch füttern. Der Überlebenskampf fordert, sich Alternativen zu suchen. Denn die wenigen Reserven, die die Menschen in Bergkarabach noch am Leben halten, werden bald aufgebraucht sein. Sehr bald, wie Arpi prophezeit: „Das Wenige, was die Menschen noch an Reis oder Nudeln haben, wird in spätestens einer Woche aufgebraucht sein. Dann wird es absolut nichts mehr geben. Eine Bekannte von mir hat aus lauter Verzweiflung stundenlang Streusalz eingekocht und gesiebt, da sie seit Wochen kein Salz mehr hatte. Das klingt vielleicht traurig, aber dieses Beispiel zeigt, was das Volk in Bergkarabach fühlt: Wir werden nicht aufgeben. Von irgendetwas werden wir schon leben. Keiner will seine Heimat verlassen, unter keinen Umständen.“

Vom Rest der Welt vergessen

Auch Arpi wollte ihre Heimat nicht verlassen. Gerne würde sie, nachdem die in Armenien medizinisch versorgt wurde, zurückkehren, nach Bergkarabach. Doch eine Rückkehr in die Region ist aufgrund der gegenwärtigen Situation schwierig und gefährlich. Also ist sie gezwungen, vorerst in Armenien zu bleiben. Dies fällt der 30-Jährigen schwer. „Hier in Armenien sehe ich, dass sich die Menschen alles kaufen können, was sie möchten. Ich wünschte, dies wäre auch in Bergkarabach möglich. Ich wünsche mir einfach nur Frieden. Dass ich nach Hause zurückkehren kann, zurück zu meiner Familie, in meine Heimat. Hier fühle ich mich heimatlos.“ Wonach sich Arpi aber noch viel mehr sehnt: „Dass die Welt über uns spricht. Die Not ist zwar kaum zu beschreiben, wenn man sie nicht selbst erlebt hat, aber ich wünsche mir, dass die Welt sie sieht und endlich etwas tut. Das ist das Allerschlimmste an allem: Worte sichern uns nicht das Leben, kann uns nicht endlich jemand helfen? 120.000 Kinder, Frauen und Männer warten darauf, dass endlich etwas passiert.“ Hoffnung machen aktuelle Berichte über Gespräche zwischen den Beteiligten. Noch in dieser Woche könnte sich die Versorgungslage endlich zum Besseren wenden.

Friedensdorf appelliert: Menschen brauchen dauerhaften Zugang zu Grundversorgung

Das Friedensdorf und die Armenische Kinderassoziation würden sich wünschen, in dieser schwierigen Lage effektiv helfen zu können. So wie 2020, als der Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien in einem Krieg eskalierte und das Friedensdorf gemeinsam mit seinem Partner eine Hilfsaktion organisierte. So konnte die medizinische Erstversorgung der vertriebenen Menschen, vor allem der Kinder, akut unterstützt werden. „Wir werden die Lage weiterhin beobachten und genau hinschauen. Das ist leider das Einzige, was wir und unser Projektpartner momentan tun können: Hinschauen, die Not nicht ignorieren und an die internationale Gemeinschaft appellieren: Es muss dringend eine dauerhafte Lösung gefunden werden! Wir hoffen, dass jetzt nach den Gesprächen Wort gehalten und der Latschin-Korridor geöffnet wird, damit betroffene Kinder und Familien endlich versorgt werden können.“

Anfangsjahre der Bürgerpaketaktion in Armenien.

 

1994 holten wir erstmals Kinder aus Aserbaidschan und Armenien zur medizinischen Behandlung nach Deutschland. In Armenien gibt es zudem ein Rehabilitationsprojekt. Regelmäßig erreichen das Land Hilfsgüter für die Nachversorgung der ehemaligen Friedensdorf-Patienten. Zudem wurden bis 2017 liebevoll gepackte Lebensmittelpakete für die Bevölkerung in Armenien und Bergkarabach im Rahmen der alljährlichen Paketaktion „Hilfe wird gepackt“ verschickt. Seit Beginn der Zusammenarbeit mit der Armenischen Kinderhilfsorganisation 1994 schauen wir mit Sorge in Richtung Südkaukasus und hoffen weiterhin auf eine friedliche Zukunft für beide Länder.

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