11. November, 11.30 Uhr:
Die Fahrt von der afghanischen Hauptstadt Kabul in die Provinz Baghlan in den Norden führt über den Salang-Pass. Es sind nur knapp 250 Kilometer, die Reise dauert aber, wenn es gut läuft, sechs Stunden. Die Straße, die sich ins Gebirge hochschlängelt, ist in einem fürchterlichen Zustand, so wie die gesamte Infrastruktur Afghanistans nach vier Jahrzehnten Krieg.
Entlang des Weges liegen die Überbleibsel der fremden Armeen, die in das Land eingefallen sind. Wracks sowjetischer Panzer und amerikanischer Humvees, Container mit der Aufschrift „Eigentum der US-Armee“. Auf der Straße kommen uns uralte sowjetische Ural-Trucks entgegen, die Taliban an den Checkpoints sind mit Kalaschnikows und M16 bewaffnet.
Agli ist ein kleines Dorf im Distrikt Nahrin. Ockerfarbene Lehmhäuser, die sich in die Hügel schmiegen, als seien sie aus der kargen Landschaft heraus gewachsen. Kein Strom, kein fließendes Wasser, die nächste Gesundheitsstation ist zwei Stunden Autofahrt entfernt. Eine heruntergekommene Schule, in der die Kinder in den Klassen auf dem Boden sitzen.
Die 150 Familien, die hier leben, kämpfen noch immer. Ihr Feind ist der Klimawandel. Seit fünf Jahren leiden die Menschen in der Region unter einer lang anhaltenden Dürre. Wenn der Regen kommt, dann mit brutaler Gewalt. Im Mai sind drei Menschen im Dorf bei einer Sturzflut gestorben, Äcker wurden zerstört.
Das Friedensdorf Internationalund die Caritas-Flüchtlingshilfe Essen e.V. haben jetzt 12 Familien im Dorf mit Hühnern unterstützt. Agli ist eines von rund 60 Dörfern in zwei Distrikten, in denen mit der Hilfe der Afghan RED Crescent Society die Tiere verteilt wurden. Die insgesamt 5000 Hühner sind an besonders bedürftige Familien gegangen, in denen Kinder ohne Väter aufwachsen müssen. Allein in Agli gibt es vierzig alleinerziehende Frauen. Die Männer sind in Kämpfen oder bei Unfällen gestorben.
Das Hühnerprojekt ist der Versuch, Perspektiven zu schaffen. Die Menschen im Dorf erzählen, dass die Tiere ihnen Hoffnung geben. Die Eier sind Lebensmittel, die sie dringend brauchen. Wir wollen das Projekt ausbauen.
Noch mehr sind die Menschen in Agli aber auf Wasser angewiesen. Die einzige Quelle im Dorf liefert kein Trinkwasser mehr, die Kinder, Frauen und Männer reiten jeden Tag mit ihren Eseln eine halbe Stunde zu einer kleinen Wasserader. 70 Familien haben das Dorf bereits verlassen, um in der Großstadt Baghlan ein neues Leben aufzubauen. Es sind Familien, deren Väter sich als Tagelöhner verdingen und deren Kinder an die Scheiben von Autos klopfen, um Kulis oder Wasserflaschen zu verkaufen.
Wir wollen in Agli weiter helfen, damit das Dorf und die Menschen dort eine Zukunft haben.
Fotos: André Hirtz
Text: Jan Jessen
10. November, 19 Uhr:
Wir sind aus Baghlan zurück. Gestern haben wir das Dorf Agli besucht. Es ist eines von 60 Dörfern, in dem vorwiegend an alleinerziehende Mütter Hühner verteilt wurden. Wie das Hühnerprojekt bei ihnen angekommen ist, wird Jan Jessen morgen ausführlich schildern. So viel können wir jetzt schon verraten, eure Spenden waren keine Fehlinvestition!
Interessant war das Gespräch mit einer 25-jährigen Frau. Ihr Ehemann ist vor zwei Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen. Nun muss sie für ihre vier Kinder und Mutter sorgen. Sie berichtet, dass sie sich überwiegend von Tee, manchmal mit Zucker und Eiern ernähren. Ihre fünf Jahre alten Zwillinge leiden an einem Kopfpilz. Gerne würde sie diesen behandeln lassen. Die nächst gelegene Gesundheitsstation liegt ca. 2 Autostunden entfernt. Die Untersuchung dort wäre kostenlos, aber ein Taxi und Medikamente kann sie sich nicht leisten. Auf die Frage, was passiert, wenn sich ein Kind oder sie sich schwer verletzt, antwortet sie:” Dann werden wir sterben.
8. November, 17 Uhr:
Heute haben wir sehr viele ehemalige Friedensdorf-Kinder getroffen, die teilweise vor Jahrzehnten bei uns waren. Viele von ihnen kamen mit schweren urologischen Erkrankungen zu uns. Einer von ihnen ist Mohammad. Als Kind war er zweimal zur Behandlung in Deutschland. Nach abgeschlossener Therapie in 2002, kommt er zu jedem Hilfseinsatz nach Kabul, um sich seine Beutel für den künstlichen Blasenausgang abzuholen.
Vor uns steht ein Mann, der sein Leben in die Hand genommen hat. Wenn Mitschüler ihn wegen des Beutels ausgelacht haben, hat er einfach mitgelacht. Die Schule und sein Studium hat er mit Bravour bestanden. Er arbeitet als Wasserbau-Ingenieur und hat eine Familie gegründet. Rückblickend, da ist er sich sicher, wäre ohne die Hilfe in Deutschland, sein Leben vollkommen anders verlaufen.
7. November, 20 Uhr:
Abschiednehmen von Afghanistan. Das Friedensdorf International fliegt heute 89 Kinder zur Behandlung nach Deutschland aus. Natürlich fällt es vielen Kindern schwer, sich von den Eltern zu trennen. Es fließen Tränen. Aber schon jetzt kümmern sich die Größeren um die Kleinen, beruhigen und trösten sie. Es ist immer wieder toll zu sehen, wie unglaublich sozial die afghanischen Kinder sind.
6. November, 16 Uhr:
Das letzte Gruppenfoto auf deutschem Boden. Ein großer Dank an die Busfahrer der STOAG, die unsere Kinder wie immer sicher zum Flughafen gefahren haben. Und könnt Ihr sehen, was auf unserem Flieger steht?
6. November, 13.30 Uhr:
Derzeit machen sich in Deutschland 45 Kinder bereit für die Rückkehr nach Afghanistan. Mit der Maschine, in der sie morgen in Kabul ankommen, werden 88 Kinder zur Behandlung nach Deutschland fliegen. Weil die Not so groß ist, und nicht alle behandlungsbedürftigen Kinder nach Deutschland können (immer weniger Kliniken bieten Freibetten an), hat das Friedensdorf International vor einem Jahr Kooperationen mit guten afghanischen Privatkrankenhäusern gestartet.
Heute hat unser Chirurg Dr. Ralf Steinen-Perschke zusammen mit seinem afghanischen Kollegen Dr. Mohammad Ayub Haidar ein kleines Mädchen operiert. Basmina hat eine fürchterliche Knochenentzündung im linken Oberschenkel. Die Infektion hat große Teile ihres Knochens zerstört und ihr unglaublich viel Kraft geraubt. Sie ist sieben Jahre alt und wiegt gerade einmal 15 Kilo. Ohne Behandlung wäre sie schlimmstenfalls gestorben. Die Operation war kompliziert und aufwändig, die beiden Ärzte haben knapp 15 Zentimeter toten Knochen entfernt. Ob die Operation erfolgreich war, wird sich zeigen müssen. Heute haben wir aber einen kleinen Patienten gesehen, den unsere Ärzte Anfang Juli operiert haben. Er spielt heute wieder Cricket.
6. November, 10.30 Uhr:
Ein Tag voller Abschied und Neubeginn im Friedensdorf. Heute heißt es für einige unserer jungen Schützlinge Abschied nehmen – sie machen sich auf die Reise zurück in ihre Heimat und zu ihren Familien. In den vergangenen Monaten durften wir so viel mit ihnen erleben, lachen und wachsen. Es fällt uns schwer, Lebewohl zu sagen, aber wir sind voller Freude, dass sie nun gesund und gestärkt zu ihren Liebsten zurückkehren.
Ein herzliches Dankeschön an die Kinder und ihre Familien für die gemeinsamen Momente – Ihr werdet immer einen Platz in unseren Herzen haben. Schon morgen erwarten wir neue Kinder, die auf ihre dringend benötigte ärztliche Versorgung hoffen. Von Herzen wünschen wir unseren Schützlingen alles Gute für ihren neuen Lebensabschnitt.
4. November, 19 Uhr:
Wir haben schon viele Möglichkeiten gesehen wie Familien die Wunden ihrer Kinder abdecken. Heute staunten wir nicht schlecht als beim Abdecken der Tücher dieses Blatt zum Vorschein kam. Es handelt sich um Breitblättriger Wegerich, ein Heilkraut. Diese Pflanze ist dafür bekannt, dass sie Infektionen lindern kann. Aber leider ist die Infektion bei diesem Jungen bereits zu weit fortgeschritten. Er ist eines von 89 Kindern, die deshalb eine medizinische Behandlung in Deutschland benötigen.
4. November, 11 Uhr:
Das Friedensdorf International holt wieder Kinder aus Afghanistan zur Behandlung nach Deutschland. Diesmal sind es 89. Vor der Abreise am Donnerstag haben wir ein Treffen, in dem die Kinder und ihre Eltern auf die anstehende Reise vorbereitet werden. Der Abschied fällt immer extrem schwer, die Kinder sind schließlich ein halbes Jahr, oft länger von ihren Eltern getrennt. Aber die medizinische Versorgung in Afghanistan ist katastrophal schlecht. Für manche der Kinder ist die Reise nach Deutschland die letzte Hoffnung auf Heilung. Es ist immer wieder berührend, was die Eltern dafür auf sich nehmen. Viele reisen aus weit entfernten Provinzen an, manche brauchen eine Woche oder länger, um nach Kabul zu kommen. (Bild und Text: Jan Jessen)
3. November, 17 Uhr:
Seit gestern befinden wir uns in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Am frühen Abend wurden unsere Gespräche über den anstehenden Hilfseinsatz von einem lauten Knall unterbrochen. Wie wir zur Stunde wissen, ist ein Gaslager explodiert.
Heute haben wir viele ehemalige Schützlinge und neue Patienten für das OP-Projekt in Kabul vorgestellt bekommen. Hier nun ein paar Impressionen.