
Temor Yusufi auf einem Dorffest des Friedensdorfes.
Temor Yusufi – Sulzbach am Main
Wie kamen Sie ins Friedensdorf?
Zum Friedensdorf kam ich bereits 1989 durch eine Anzeige im Main-Echo Aschaffenburg.
Die katholische Jugendgruppe der Pfarrei Sommerkahl war zum damaligen Zeitpunkt auf das Friedensdorf aufmerksam geworden. Nach einem Besuch der Einrichtungen in Oberhausen beschlossen die Jugendlichen mit ihrem Gruppenleiter Wolfgang Merz, diese sinnvolle Arbeit nach Kräften zu unterstützen. Sie begannen selbst Krankenhausfreibetten zu beschaffen, damit schwerverletzte Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten auch in unserer Region kostenlos behandelt werden konnten. Die Betreuung sollte durch ehrenamtliche Helfer*innen gesichert werden.
Die ersten Kinder, die vor mehr als 30 Jahren in einem Aschaffenburger Krankenhaus behandelt wurden, kamen aus Afghanistan und so hat das Pfarramt Sommerkahl damals über die Zeitung einen ehrenamtlichen, afghanischen Dolmetscher gesucht. Als ich mich meldete, dachte ich, das sei eine einmalige Sache, aber dann wurde aus der ursprünglichen Dolmetschertätigkeit sehr schnell eine umfassende Rundumbetreuung. Ich fuhr täglich nach der Arbeit als ehrenamtlicher Betreuer ins Krankenhaus und so bin ich bis heute dabeigeblieben.
In der Vergangenheit war meine Unterstützung häufig auch in weiter entfernten Krankenhäusern erforderlich, wie z.B. in Gießen, Marburg, Marktredwitz, Erlangen-Fürth oder Wasserburg am Inn. Als Dolmetscher ist mein Einsatzgebiet mittlerweile sehr groß geworden. Bei Bedarf bin ich oft auch mehrmals für ein Kind dort im Einsatz.
Was ist Ihre Motivation für ein Ehrenamt im Friedensdorf?
Da ich 1980 selbst als afghanischer Asylbewerber nach Deutschland gekommen bin, weiß ich, wie es sich anfühlt, wenn man fremd ist und die Sprache nicht oder nicht ausreichend versteht. Hinzu kommen Ängste und Schmerzen der schwerverletzten Kinder und vor allem großes Heimweh, unter dem sie gerade zu Beginn leiden.
Sehr viele Kinder im Zuständigkeitsbereich der Koordinationsstelle Sommerkahl kommen auch weiterhin aus Afghanistan, deshalb bin ich als Dolmetscher bei allen Erstuntersuchungen im Krankenhaus dabei.
Vor allem für die Anamnese versuche ich wichtige Informationen von den Kindern für die behandelnden Ärzt*innen in Erfahrung zu bringen, aber auch Anweisungen der Ärzt*innen an die Kinder gebe ich weiter. Ich erkläre den kleinen Patient*innen den Behandlungsplan, begleite sie zu allen Vorsorgeuntersuchungen, helfen ihnen beim Essen, spiele mit ihnen, erkläre ihnen ihr neues Umfeld, tröste sie und bin einfach da. Als Betreuer kümmere ich mich bei Bedarf selbstverständlich auch um Kinder anderer Nationalitäten (z.B. Angola), die in umliegenden Krankenhäusern behandelt werden.
Das Ehrenamt beim Friedensdorf ist für mich inzwischen zu einer Lebensaufgabe geworden, da ich mir bewusst bin, dass jedes dieser Kinder diese Chance auf Heilung nur durch das Friedensdorf und das Engagement vieler uneigennütziger Helfer*innen erhält. Die zahlreichen Mitstreiter*innen um mich herum machen Mut und bestärken mich immer wieder, auch weiterhin unermüdlich für diese wichtige Aufgabe einzutreten.
Welche Momente haben Sie besonders berührt?
In den über 30 Jahren meiner ehrenamtlichen Tätigkeit habe ich sehr viele Kinder kommen und gehen sehen. Gekommen sind sie mit schlimmen Verletzungen, Erkrankungen und zum Teil mit Verstümmelungen. Viele Tränen, Schmerzen und Ängste, viel Heimweh auf der einen Seite, aber auch viel Mut, Lachen und Freude auf der anderen Seite, wenn z.B. die ersten Schritte mit einer Prothese geschafft waren. Solche Momente berühren mich immer ganz besonders.
Leider nehmen nicht alle Schicksale ein gutes Ende: Kurz nach Weihnachten 1994 ist ein kleines Mädchen, das ich in einem Aschaffenburger Krankenhaus betreute, trotz aller ärztlichen Bemühungen gestorben. Neben dieser besonders schmerzlichen Erfahrung bleibt für mich persönlich aber immer wieder dieses schöne Gefühl, am Glück vieler geheilter Kinder ein klein wenig beteiligt gewesen zu sein.
Was wünschen Sie dem Friedensdorf für die Zukunft?
In all den Jahren waren meine Erfahrungen mit dem Friedensdorf sehr positiv. Neben meiner Tätigkeit als Betreuer habe ich in der Vergangenheit gemeinsam mit meiner Familie und den Mitglieder*innen der Aktionsgruppe Sommerkahl sehr viele Benefizveranstaltungen organisiert und durchgeführt, um das Friedensdorf durch Einnahmen und Spenden auch finanziell zu unterstützen.
Durch diese kontinuierliche Arbeit ist es uns sehr gut gelungen, in unserer Region ein besonderes Bewusstsein für diese Problematik zu schaffen. Nicht nur in meinem privaten Bekanntenkreis und bei den Bewohner*innen in meinem Heimatort Sulzbach-Soden, auch in weiten Teilen der Bevölkerung der umliegenden Gemeinden der Landkreise Aschaffenburg und Miltenberg ist das Friedensdorf zu einem festen Begriff geworden. Besonders beeindruckend finde ich die langjährige Unterstützung durch Ortsvereine und Kommunalverwaltungen, vor allem bei der Organisation und Durchführung von Veranstaltungen.
Leider konnten öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen in den vergangenen zwei Jahren Corona bedingt nicht wie gewohnt stattfinden. Letztlich ist ja die gesamte Friedensdorfarbeit von den Einschränkungen der Pandemie betroffen, da auch die Hilfseinsätze im Ausland nicht wie gewohnt durchgeführt werden konnten. Auch ich als Betreuer konnte ich mich folglich nicht wie all die Jahre zuvor so einbringen, wie ich es gerne getan hätte. Das „Mehr“ an freier Zeit nutze ich bis dahin, um mich verstärkt um die vielen Geflüchteten in unserer Region zu kümmern und die Familien bei ihrer Eingliederung zu unterstützen.
Dem Friedensdorf und uns allen wünsche ich für die Zukunft wieder mehr Chancen und Möglichkeiten, um schwerverletzten Kindern dieser Welt weiterhin helfen zu können. Ich bin sehr froh, dass ich diese wertvolle Arbeit als Betreuer von schwerverletzten Kindern schon so lange unterstützen kann und möchte das auch noch möglichst lange tun.